Streit gehört zum Miteinander-Leben. Vor dem Zwist soll man keine Angst haben, aber man muss dabei einige grundlegende Dinge beachten. Ein Beitrag von Mediatorin Silke Pauritsch.
Ich hatte heuer die besondere Freude, mit Jugendlichen ein Streit-Training zu machen. Damit haben wir die Basis für einen gesunden Umgang mit Konflikten gelegt: keine Angst vor Auseinandersetzungen, Lösungsmethoden kennen und zwischen destruktivem und konstruktivem Streit unterscheiden können.
Zuallererst haben wir uns mit einem wertfreien Mindset beschäftigt. Das ist erstens: Streit gehört zum Leben und ist an sich (noch) nichts Schlimmes! Ob sich die Differenz zu einem zerstörerischen Streit entwickelt, liegt an unserem Umgang damit. Können wir die Dinge klären oder entwickeln wir ein Gegeneinander mit verhärteten Positionen?
Und zweitens: Jeder Mensch ist gleichwertig! Meist empfinden wir Menschen, deren Überzeugung wir nicht teilen, als unsympathisch. Deren Denken beurteilen wir als schlichtweg falsch. Aus deren Brille betrachtet, ist es genau andersrum. Wessen Ansicht ist gerechtfertigter? Wer entscheidet darüber? Und selbst wenn eine Seite Recht erhält, ändert das im Denken des anderen etwas? Wer schon einmal eine Angelegenheit vor Gericht klären musste, weiß, dass ein Gerichtsurteil zwar eine Entscheidung trifft, die persönliche Überzeugung vermag es aber nicht zu ändern.
Dialog auf Augenhöhe
Wie können wir nun aber Andersdenkende dazu bringen, über unsere Ansichten nachzudenken, anstatt sie von vornherein mit blinder Abwehr zu bekämpfen? Wenn wir einander zugestehen, gleich berechtigte Individuen zu sein, deren Ansichten zwar unterschiedlich, aber gleichen Wertes sind, kann sich Interesse statt Ablehnung für das Gesagte entwickeln. Und wenn wir uns darauf konzentrieren, die Beweggründe und die Motivation des Gegenübers kennenzulernen, statt es von seinem Irrtum zu überzeugen, dann steht einem Dialog auf Augenhöhe nichts mehr im Weg.
Neben dem passenden Mindset ist es auch notwendig, sich selbst zu kennen, wenn man Konflikten gelassen begegnen will. Wer um seine sensiblen Stellen weiß, die persönlichen Stolpersteine kennt sowie sich seiner „Streit-Talente“ bewusst ist, kann sich zum einen besser schützen und zum anderen sicher auftreten. Welche Themen berühren mich? Woran merke ich, dass meine Emotionen die Kontrolle übernehmen? Was mache ich dann?
Ein „Überraschungsei“
Jeder sollte eine Strategie haben, wie man mit eskalierenden Situationen umgeht, wie man Stopps einbaut und rechtzeitig aus der Situation geht. Nur so können psychische und physische Verletzungen vermieden werden. Wer aber gar nicht weiß, wie er selbst funktioniert, ist ein „Überraschungsei“ für sich und seine Umwelt. Ich lege jedem ans Herz: „Lern dich selbst kennen und leg dir Strategien zurecht für Situationen, die dich an dein Limit bringen.“ Wer jetzt gerade von sich denkt, dass ihn/sie nichts zum aus der Haut fahren bringt, der irrt sich. Jeder Mensch hat Belastungsgrenzen.
Ein weiterer zu beachtender Punkt für einen gesunden Umgang mit Konflikten ist, dass Konflikte beachtet werden müssen. Hinter Konflikten stecken meist unerfüllte Bedürfnisse, über die nicht offen gesprochen wird. Wird das auf Dauer nicht erkannt oder ignoriert, vergiftet das jede Beziehung. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht, wenn nicht einmal mehr gestritten wird, sondern nur mehr geschwiegen.
Konstruktiver Austausch
Menschen, die Konflikten angstfrei begegnen, trauen sich für ihre Bedürfnisse und Überzeugungen einzutreten. Sie sind seltener „tickende Zeitbomben“ als jene Menschen, die nicht anecken wollen und denen immer alles recht zu sein scheint. Wer stets zurücksteckt und seine Bedürfnisse hintenanstellt, der wird sich über kurz oder lang unzufrieden fühlen und in der einen oder anderen Form auszubrechen versuchen. Wo konstruktiver Austausch nicht mehr möglich ist und das Gegeneinander als unabdingbar empfunden wird, ist Frieden ein schnell verspielter Wert. Hören wir nicht auf, miteinander zu reden! Streiten wir die wichtigen Dinge klug und achtsam aus!
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