Mit einem Schlag ist alles anders

von Karl Brodschneider

Eine Krankheitsgeschichte, die das wahre Leben schreibt: vor elf Jahren erlitt der Mann der Bergbäuerin Gerti Fladenhofer einen Gehirnschlag und wird seither von seiner Frau und der ganzen Familie liebevoll gepflegt.

Vom Locked-in-Syndrom hatte Gerti Fladenhofer bis Anfang 2008 noch nie etwas gehört. Warum auch? Zusammen mit ihrem Mann Leopold führte sie in der Gemeinde Spital am Semmering im Vollerwerb einen Bergbauernhof und stand mitten im Leben.

An einem Jänner-Abend im Jahr 2008 schlug das Schicksal gnadenlos zu. Warum es gerade ihren Mann ausgesucht hat, kann sie sich nicht erklären. „Er war Gemeindebauernobmann, Weg-Obmann, Almmeister, überall dabei und half bei anderen gerne mit“, erzählt Gerti Fladenhofer. „Warum das dann gerade ihn trifft, fragte ich mich immer wieder.“

Leopold Fladenhofer war 52 Jahre alt, als er einen Geschirnschlag im Stammhirn erlitt. „Ich habe lange darauf vertraut, dass wieder alles gut wird, obwohl die Ärzte sagten, dass ich mir keine Hoffnungen machen soll“, erzählt die Bäuerin. Ihr Mann konnte sich nicht bewegen, nicht sprechen, nicht essen und nur die Augenlider schließen und wieder öffnen. Bei ihren täglichen Besuchen versuchte sie, irgendeinen Kontakt zu ihm herzustellen, nahm die Enkelkinder mit, spielte ihm Lieder vor, zeigte ihm Bilder. Bei jenem Foto seiner geliebten Steinbach-Alm – dort wollten er und seine Frau in der Pension als Almhalter tätig sein – trat plötzlich eine Träne in seinen Augenwinkel.

Ab diesem Zeitpunkt wussten sie und die Ärzte: er ist bei vollem Bewusstsein, genauso aufnahmefähig wie ein Gesunder, aber in seinem Körper eingesperrt. Eine monatelange Therapie begann, bis er mit einem Finger einen Computer bedienen und sich so seiner Umgebung mitteilen konnte.

Über ein Jahr lang lief jeder Tag für Gerti Fladenhofer nach dem selben Schema ab: aufstehen, Stallarbeit, melken, kochen, ins Spital zu ihrem Mann fahren, wieder nach Hause, Stallarbeit, Haushalt, schlafen gehen. Nur ein einziges Mal, als der Sturm „Paula“ zerstörerisch wütete, musste sie aussetzen. „Ich weiß nicht, von wo man die Kraft für das alles hernimmt. Ich musste zu ihm und schauen, wie es ihm geht und dass er nicht allein ist.“

Endlich daheim

Dann nach 13 Monaten folgte die große Entscheidung. Leopold Fladenhofer wurde aus dem Spital entlassen. „Die Ärzte rieten mir ab, ihn nach Hause zu nehmen“, erinnert sich die Bergbäuerin. Mit Hilfe von 24-Stunden-Pflegerinnen probierte sie es. Das ging aber mehr schlecht als recht. Dann boten ihre drei Töchter Renate, Anita und Brigitte ihre Mithilfe an. Jeweils zwei Tage standen sie abwechselnd ihrer Mutter hilfreich zur Seite und unterstützen ihr Mama heute noch. „Dass sie das gemacht haben, rechne ich ihnen hoch an und danke auch meinen Schwiegersöhnen, dass sie dabei mitgespielt haben“, sagt Gerti Fladenhofer.

Schöne Erlebnisse

Elf Jahre sind seit jenem verhängnisvollen Jänner-Abend vergangen. Gerti Fladenhofer ist keine Frau, die sich in ihrem Gram verbeißt, sondern auch gerne von schönen Erlebnissen seit damals erzählt: Als die Spitaler Bauernschaft im Jahr 2009 eine Benefizveranstaltung für den schwererkrankten Berufskollegen organisierte oder dass die Landjugend, Bauern und Bäuerinnen verschiedene Arbeiten im Betrieb und Wald für sie verrichteten. Oder als sie im Jahr 2010 einen VW-Transporter kaufte, ihren Mann im Rollstuhl über eine Rampe hineinschob und immer wieder zusammen mit ihm auf die Alm oder zu ihren Töchtern auf Besuch fuhr. Oder wie daheim am Hof fünf Taufen stattfanden oder als sie im Vorjahr im Kreis einer sehr großen Gratulantenschar daheim ihren 60. Geburtstag beging. Oder wenn sie einmal im Jahr zusammen mit ihren Geschwistern für vier Tage auf Urlaub fährt. Oder wenn nun schon seit zehn Jahren Monat für Monat Hausarzt Heinrich Weilharter und Schwester Maria zum Katheter-Wechseln kommen.

Was die Atmung sagt

Von einem „normalen“ Alltag kann man bei Gerti Fladenhofer angesichts ihrer besonderen Lebenssituation wohl nie sprechen. Ein Durchschlafen gibt es für sie nicht. Ein leises Husten und schon ist sie bei ihrem Mann. „Ich erkenne es an seinem Atmen, ob er Schmerzen hat oder nicht“, lässt die Landwirtin wissen.

Ans Leben stellt die dreifache Mutter, achtfache Groß- und zweifache Urgroßmutter keine ausgefallenen Wünsche, sondern nur: „Dass ich, meine Kinder, Schwieger- und Enkelkinder gesund bleiben und dass wir das alles weiterhin schaffen!“ Nach kurzem Nachdenken fällt ihr dann doch noch ein weiterer Wunsch ein: „Ich würde mich gern einmal mit jemandem treffen, der das gleiche Schicksal hat.“

Beitragsbild: privat

 

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