Die steirische „Wetterartillerie“

von Karl Brodschneider

Der Beitrag des Eibiswalder Historikers Herbert Blatnik erzählt die Geschichte der steirischen Hagelabwehr. Sie begann im 17. Jahrhundert, als man Hagelgewitter mit Böllerlärm zu bekämpfen versuchte.

 

Aus Prozessakten wissen wir, dass man schon im 17. Jahrhundert Hagelabwehr mit Böllern bestritt. Am häufigsten waren es Böller, die zu allen „heiligen Zeiten“ krachten. Traditionell trugen sie ein eingeschlagenes Kreuz und waren „geweicht“. Etwa ab 1880 verwendete man Böller mit einem trichterförmigen Aufsatz, der den Schall verstärkte. Auf dem Schöckel sollen drei riesige Böller auf einem drehbaren Rondell montiert gewesen sein, mit dem man die Böller rasch gegen das anziehende Gewitter richten konnte.

Schon um zirka 1750 nahm das Wetterschießen derart wüste Formen an, dass die staatliche Obrigkeit eingreifen musste. Angeblich ging es auf den Glauben zurück, man könne durch Lärmerzeugung die Wetterhexen verscheuchen. Im Jahre 1749 berichtete die Herrschaft Greisenegg bei Voitsberg, dass während eines Gewitters bis zu tausend Schuß abgegeben würden. In einer Beschwerdeschrift des Fürstenfelder Magistrats heißt es: „Ungehemmt glaubt jeder Bauer seine Wetterschläg abfeuern zu dürfen, wann und wo es ihm beliebt. Es dröhnt allerorts dermaßen laut, als wollte man gegen den Himmel Krieg führen!“

Böller mit Aufsatz

Mit dem trichterförmigen Aufsatz sollten die Schallwallen noch lauter ausfallen und die Hagelgefahr mindern.

Als für die Habsburger-Monarchie 1756 der „Siebenjährige Krieg“ gegen Preußen ausbrach und Schießpulver rationiert wurde, verbot Maria Theresia generell jedes Böllerschießen. Bald danach entfaltete es sich von neuem, bis es eine innerösterreichische Verordnung 1786 erneut untersagte. Diesmal mit dem Zusatz „unter allfälliger Militärjustiz mit empfindlichen Leibesstrafen“. Tausende Böller in Steiermark, Kärnten und Krain, die „streifende Commissionen“ bei den Bauern entdeckten, wurden eingezogen und eingschmolzen.

Der Geistlichkeit untersagte man das Weihen des Schießpulvers. Aber im Ennstal soll die schlaue Bauernschaft mit einem besonderen Trick die Verordnung umgangen haben: Bei der „Fleischweih“ zu Ostern hatten sie in ihren Körben unter den Speisen das Schießpulver versteckt.

 

„Wetterknallerei“

In der Zeit von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg erlebte man den Höhepunkt der „Wetterknallerei“. Von mehreren Gemeinden kam der Ruf nach Verordnungen, die das Schießen regulieren sollten. Da kam den Behörden die Radkersburger Schießordnung gerade recht. Chlotar Bouvier, einer der prominentesten Weinbauern der Monarchie, veröffentlichte sie im Grazer Volksblatt vom 7. Juli 1898. Sie umfasste 13 Punkte. Nur von geeigneten Schießstationen durfte geschossen werden. Jede Station war mit einem Schussmeister und zwei Gehilfen zu besetzen. Beim Herannahen eines Gewitters hatte sich diese Mannschaft sofort zur Schießhütte zu begeben.

Weitere Punkte lauteten: Zu Beginn des Wetters muss in möglichst rascher Folge geschossen werden. Nach jedem Wetter sind die Böller wieder zu laden. Sie dürfen nur mit Zündschnüren abgefeuert werden usw.… Diese Verordnung war von nun an für alle steirischen Schussmeister verbindlich. Nach ihr richteten Gemeinden ihre Stationen ein – zum Beispiel der der Gerichtsbezirk Neumarkt mit zehn Stationen auf Bergkuppen, die Stadtgemeinde Deutschlandsberg eine in den Weingärten von Burgegg, die Umgebungsgemeinden von Graz mit insgesamt acht Stationen etc.

 

Erste Zweifel

In der ersten Augustwoche 1884 verheerte ein fürchterlicher orkanartiger Hagelsturm die südsteirischen Gemeinden Kranach, Labitsch, Steinbach, Sernau, Ottenberg, Zieregg und Platsch. Drei Viertel der Wein- und Obsternte waren vernichtet. Einzelne Gemeinden hatten zuvor in fünf Tagen sechs Hagelschläge auszustehen, dort war alles vernichtet. Die Schäden waren ungeheuer. Obstbäume lagen zerschmettert am Boden. Die mächtigsten Fichten waren entwurzelt, Dächer abgedeckt. Blitze äscherten zwei Gebäude ein, wobei ein Winzer den Tod fand. Bei Spielfeld zerschlug der Hagel 40 Fensterscheiben eines Postzuges. Das alles konnte geschehen, obwohl von einigen Dutzend Wetterstationen die Böller ihre Ladungen abschossen.

Die Zweifel am Sinn des Wetterschießens bewirkten, dass man sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzte. Die Steiermärkische Sparkasse war auf Grund ihrer steigenden Schadenersatzleistungen besonders an der Lösung dieser Frage interessiert. Sie beauftragte im Juni 1898 damit eine Untersuchungskommission, die sich vom Artilleriedepot in Wien vier Feldkanonen ausborgte. Leider ist nicht bekannt, was die Versuche ergaben.

 

Hagelkonferenz

Am 20. Juni 1902 fand im Grazer Hotel „Elefant“ eine internationale Expertenkonferenz zum Thema „Wetterschießen“ statt, vom Statthalter Graf Clary persönlich eröffnet. Wie erwartet, prallten die Meinungen hart aufeinander. Die Meteorologen argumentierten: Während des Krimkrieges, im Oktober 1854, sollte bei der Belagerung der Hafenstadt von Sewastobol die englische Schiffsartillerie den Fall der Festung herbeiführen. Mit den größten Kalibern jener Zeit wurde die Festung beschossen. Da brach ein derart heftiges Hagelgewitter los, dass man die Beschießung einstellen musste. Die Lehre daraus: Mit Schallwellen war der Verlauf eines Gewitters nicht zu beeinflussen. Andererseits konnten Vertreter der Bauernschaft beweisen, dass in Regionen, wo fachgerecht geschossen wurde, der Hagel seit Jahrzehnten ausgeblieben war. Bei einer Abstimmung zur Wirksamkeit des Wetterschießens zeigte sich, dass die Mehrheit der 50 Delegierten zweifelte oder zumindest den wirtschaftlichen Nutzen infrage stellte.

 

Unfälle und Prozesse

Mit der wachsenden Intensität des Hagelschießens ereigneten sich auch mehr Unfälle, die Versicherungsleistungen nach sich zogen. Ein besonders schwerer Unfall passierte zum Beispiel im Juli 1902 im untersteirischen Ort Koschak bei Marburg, als ein Böller vorzeitig losging und zwei Winzer tötete. Immer öfter kam es nach dem Hagelschießen zu Anzeigen. Als exemplarischer Streitfall galt lange Zeit der Fall „Greimhias“ vom Anfang Juni 1883. Als einer der höchstgelegenen Bauern am Fuß des Greims im Murtal unterhielt der Bauer eine Wetterstation. Während eines Gewitters schoss er wie gewohnt seine Böller ab. Was er nicht voraussehen konnte: Bald danach zeigte ihn der etwa zehn Kilometer entfernte Bauer G. F. an. Der „Greimhias“ hätte die Hagelwolken, die ihm den Großteil seiner Kornernte vernichtet hatten, zu ihm „heruntergeschossen“. Der Streitfall soll ergebnislos mehrere Instanzen über Jahre beschäftigt haben.

 

Hagelraketen

In den Jahren Jahr 1931 und 1932 unternahmen mehrere Genossenschaften Versuche mit der „Sirius“-Hagelrakete. Aus Gleisdorf kam folgender Bericht: Das Unwetter, das am 14. Juli 1931 niederging, richtete in Höf und Wilfersdorf große Schäden an. Zur selben Zeit schossen die Weinbauern von Prebensdorf und Wolfgruben Hagelraketen ab. Die Bauern beobachteten, dass sich darauf die Wolken teilten und davonzogen. Im Jahr darauf erfand der Wiener Rudolf Zwerina eine besonders leistungsfähige Hagelrakete, die bis zu 2.000 Meter hoch steigen konnte. Von nun an war der Siegeszug der Raketen gegen Gewitterwolken nicht mehr aufzuhalten. In einer Weiterentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Raketen bei ihrer Explosion Silberiodid frei. Diese Bauart wurde bis in die 1970er-Jahre verwendet. Dann setzte die Hagelbekämpfung vom Flugzeug aus ein.

 

 

Beitragsfotos: Prosinger/Sammlung Pelzmann

 

 

 

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