Der Bauernschreck auf der Koralpe

von Karl Brodschneider

Der Eibiswalder Herbert Blatnik folgt in seinem Beitrag der Spur eines als „Bauernschreck“ gefürchteten Wolfes. Im Sommer und Herbst 1913 verbreitete dieser Wolf im Gebiet der Koralpe und Stubalpe Angst und Schrecken. Im März 1914 wurde er erlegt.

 

Nach dem Almauftrieb in der zweiten und dritten Juniwoche des Jahres 1913 weideten einige hundert Rinder und Kälber auf der Steinberger Alpe südlich der Kleinalpe im Koralpengebiet. Eines Nachts wurde der „Herter“ – so nannte man damals die Viehhirten – von einem unheimlichen Geräusch geweckt. Wie lang anhaltender Donner dröhnte es über die Almflächen. Er wusste, das konnte nur eine Rinderherde sein, die unter seiner Hütte vorbeigaloppierte. Am Morgen fand er ein gerissenes Stierkalb in einer Baumgruppe. Am nächsten Tag passierte dasselbe auf dem Mitterberg zwischen Pack und Modriach, wieder ein übel zugerichtetes Kalb mit durchbissenen Rückenwirbeln.

 

Man konnte sich nicht vorstellen, dass Raubtiere in einem Tag derartige Entfernungen zurücklegen konnten. Also nahm man an, dass es sich um zwei verschiedene Rudel handelte. So stand in der Kärntner Zeitung vom 21. September 1913: „So viel weiß man, dass es sich um zwei Partien Raubtiere handelt. Die eine Partie, zwei Großkatzen, hält sich im Stubalpengebiet auf, und zwar zwischen den Ortschaften Pack, Modriach, Salla und dem Gaberlhaus. Die andere Partie, zwei Wölfe oder zwei Hyänen und ein Wolf, hausen im Koralpengebiet gegen Kärnten zu.“

 

Reiche Beute

In der Ausgabe der Wiener Reichspost vom 15. September 1913 war ein Bericht aus St. Stefan ob Stainz zu finden, demzufolge das Raubtier als ein Wolf erkannt wurde. Die „Drahtmeldung“, wie man damals Telefonate nannte, lautete: „Nicht kühne Jäger waren es, welche diesmal den Kampf mit dem Raubtier versuchten, sondern einige Ochsen“. Holzknechte, die auf einer Alm arbeiteten, hörten ein lautes Gebrüll weidender Ochsen und Kälber. Sie sahen, wie die Ochsen einen kräftigen Wolf mit ihren Hörnern bearbeiteten und von den Kälbern abzuhalten versuchten. Die mutigen Ochsen und die Holzknechte, die ihre Äxte schwangen, vertrieben den Wolf.

 

Bis Mitte August 2013 hatte der „Bauernschreck“ einige Dutzend Schafe, Ziegen und Kälber gerissen. Der Schaden war gewaltig, weil die Bauern gezwungen waren, ihr Vieh einen Monat früher von den Almen ins Tal zu treiben. Zum traditionellen Klaramarkt beim Almhaus auf der Stubalpe Anfang August kamen bedeutend weniger Besucher. Die Kärntner blieben fast zur Gänze aus. Hochkonjunktur hatten sämtliche Zeitungen der Monarchie, sie schickten ihre besten Redakteure in das „Raubtiergebiet“, um keine Sensation zu versäumen. Ein Wiener Redakteur war es auch, der den Namen „Bauernschreck“ erfand. Ansichtskartenverlage machten das beste Geschäft mit „Bauernschreckkarten“.

 

Die erste Treibjagd

Schon Anfang August 1913 gab es die erste Treibjagd auf den „Bauernschreck“. Am 3. August 1913 konnte man in einer Wiener Zeitung lesen: „Eine in Europa noch nie dagewesene Jagd – 500 Jäger, Bauern und Soldaten auf der Suche nach dem mysteriösen Raubtier“. Tatsächlich durchsteifte am ersten Augustwochenende eine beachtliche Schar an Jägern, Gendarmen und Soldaten das Gebiet zwischen dem Packsattel und dem Koralpen-Speikkogel, allerdings ohne auch nur eine Spur vom Raubtier entdeckt zu haben. Ende August veranlasste eine hohe Prämie die Jägerschaft, ihr Glück wieder zu versuchen. Der Ausschuss der Grazer Herbstmesse setzte einen Preis von 1.000 Kronen in Gold aus für den Jäger, der das Tier erlegte. Zur Bedingung, dass es drei Monate lang ausgestopft in einer Messehalle ausgestellt werden konnte.

 

Mitte September 1913 kam es zur nächsten aufwändigen Treibjagd. Der Wiener Polizeidirektor hatte den Steirern angeboten, ihnen den besten Spürhund der Monarchie, den Polizeihund Sepp, für die Jagd zu borgen. Zugleich marschierten 50 Jäger von der Pack und anderen Stützpunkten in alle Richtungen. Soldaten des Eisenbahn-Regimentes legten Telefonleitungen zwischen den Stützpunkten. Mit größtem Interesse verfolgte die Jägerschaft diese Aktion, die aber wieder keinen Erfolg brachte.

 

Mann abgängig

Ende September schlug ein Zeitungsbericht über eine lokale Raubtierjagd wie eine Bombe ein: „Schwanberg, 23. September. Ein Mann wird seit heute vermisst. Man befürchtet, dass derselbe vom Raubtier angefallen wurde.“ Um den abgängigen Mann handelte es sich um einen Gendarmen vom Posten Wettmannstätten. Zum Glück hatte sich der Mann in der Gegend von Osterwitz „nur“ verirrt. Die Wirkung des Berichtes war enorm. Bis sie durch die Radionachrichten widerrufen wurde, getraute sich von den Bergbauern kaum jemand aus dem Haus.

 

Ende Oktober ergab sich eine gefährliche Situation: Der Wolf, der auf den Almen keine Weidetiere mehr vorfand, wagte sich immer weiter in die Täler herunter. So stand im Grazer Volksblatt vom 11. Oktober 1913: „Da sich das Raubtier auch schon in die Jagdgebiete der Gemeinde Greisdorf [bei Stainz] eingeschlichen hat, wird am 14. Oktober von den hiesigen Jagdpächtern eine Treibjagd veranstaltet. Es ergeht die Bitte an alle Jagdfreunde, mit gut geladenen Gewehren daran teilzunehmen.“ Die Treibjagd war, wie erwartet, erfolglos.

 

Im Winter war vom Wolf nichts mehr zu hören und man hoffte, er wäre zugrunde gegangen. Ab dem 18. Februar 1914 hingegen verging kaum ein Tag ohne Raubtier-Meldung. Im Herrschaftswald von Edelschrott ein gerissenes Hirschkalb, am nächsten Tag seine Fährte auf dem Kärntner Brandl. Das Tier konnte unglaubliche Entfernungen zurücklegen, obwohl auf den Almen meterhoch der Schnee lag.

 

Der erste Schuss

Toter Bauernschreck

Paul Steinbauer gab am 5. März 1914 den entscheidenden Schuss auf den als „Bauernschreck“ gefürchteten Wolf ab.

Am 4. März 1914 unternahm der Jäger Paul Steinbauer einen mehrstündigen Reviergang auf der Kärntner Seite der Koralm und kam am Nachmittag auf der Bärenstein-Halt an. Der Jäger war frühmorgens vom Henckel-Donnersmarckschen Jagdhaus Straßerhalt aufgebrochen. Sein Sohn Hugo Steinbauer erzählte in einem Interview: „Mein Vater war damals total erschöpft, die Schneereifen an seinen Stiefeln waren nur mehr Eisklumpen. Auf dem Rückmarsch nahm er einen Weg durch den Wald, weil dort der Schnee nicht so hoch lag. Beim Bärofen bemerkte er plötzlich er eine frische Fährte. Er ging den Tritten nach, da sah er auf eine Entfernung von 150 Schritt den Wolf. Mein Vater schoss auf ihn und traf ihn auch knapp unter dem Rist. Zuerst wollte er gar nicht glauben, dass er ihn getroffen hat, denn der Wolf machte einen Satz von sechs Metern und war wieder verschwunden. 

 

Am darauffolgenden Tag organisierte die Forstdirektion Henckel-Donnersmarck eine Treibjagd mit ungefähr 50 Mann, unter ihnen auch der Direktor der Frantschacher Zellulosefabrik, Max Diamant. Die Jagd dauerte nicht lange, denn schon um elf Uhr fand man die blutige Fährte des Wolfes. Als Herr Diamant mit zwei Jägern auf einen Felsen zupirschte, sprang plötzlich der Wolf auf und wurde sofort getroffen. Nach einem weiteren Schuss verendete er im Schnee.

Die Jäger brachten den erlegten Wolf nach Wolfsberg.

 

Sofort verbreitete sich die Nachricht von seinem Ende und noch in der Nacht strömten Scharen von Menschen herbei, die sich den „Schrecken der Berge“ ansehen wollten. Einige Tage später wurde der sechsjährige Wolf konserviert, untersucht und vermessen. 80 Zentimeter betrug seine Risthöhe, seine Reißzähne waren 2,7 Zentimeter lang. Danach wurde er ausgestopft und in der Grazer Industriehalle ausgestellt. Noch heute ist er im Kärntner Landesmuseum in Klagenfurt zu sehen.

 

 

 

 

 

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