China schon bald am Ziel?

von Karl Brodschneider

Spannende Einblicke in die wohldurchdachte und hochprofessionelle wirtschaftliche Entwicklungsstrategie von China geben zwei Bücher.

Die zentralchinesische Industriemetropole Wuhan gilt als Ursprungsort der Coronavirus-Ausbreitung und sorgt daher schon seit Monaten dafür, dass China eine besondere mediale Aufmerksamkeit erhält. Der ehemalige Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl, stellt dieses Land in seinem neuen Buch „China am Ziel! Europa am Ende?“ aber aus einem anderen Grund in den Mittelpunkt seiner Gedanken.

Leitl – er ist derzeitiger Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer – geht bei seinen Überlegungen davon aus, dass China spätestens im Jahr 2049, also 100 Jahre nach der Mao-Revolution, das politisch, wirtschaftlich und militärisch stärkste Land der Welt sein wird. Die USA und Indien bezeichnet er bei diesem machtpolitischen Wettkampf als Mitbewerber. Europas Bedeutung sieht er dahinschwinden.

Das kurz vor der Corona-Krise veröffentlichte Bucht wartet zwar mit Zahlen auf, welche die Folgen der COVID-19-Pandemie noch nicht berücksichtigen. Doch diese haben es in sich. Mit Wachstumsraten von 6 Prozent pro Jahr wächst China viermal so schnell wie Europa mit 1,5 Prozent. Im Außenhandel lieferte China im Jahr 2018 Waren im Wert von 305 Milliarden Euro nach Europa, die EU hingegen solche nur im Umfang von 211 Milliarden Euro nach China. Die Hälfte der Weltstahl- und -zementproduktion erfolgt in China.

Riesengroßes Netzwerk

Buch Leitl

China am Ziel. Von Christoph Leitl. Erschienen im ECOWIN-Verlag. ISBN 978-3-7110-0256-3

China hat, so Leitl, eine wohldurchdachte und hochprofessionelle Entwicklungsstrategie. Sie umfasst ein Netzwerk über Asien, Afrika, Russland, Osteuropa, Lateinamerika und Australien. Man sucht Firmen mit Know-how, mit qualifizierten Arbeitskräften und Innovationspotential. Man sichert Rohstoffvorkommen sowie Energiequellen und investiert in Infrastrukturprojekte. Aktuell baut der chinesische Staatskonzert Cosco Shipping den griechischen Hafen von Piräus zur Drehscheibe für den Containerverkehr nach Europa aus. Piräus ist nun der am schnellsten wachsende Containerhafen weltweit.

Oder: Als China die Spitzen der afrikanischen Staaten zu einer China-Afrika-Konferenz einlud, waren sämtliche 56 Länder vertreten. Als die Europäische Union etwas Gleichartiges organisierte, kam gerade einmal ein Dutzend Länder.

Leitl zählt – gut strukturiert – Gründe auf, warum Europa zunehmend von der Weltbühne verschwindet. Er nennt den Wohlfahrts-, Demografie-, Intelligenz-, Vertrauens- und Visionsbruch. In seinem Buch bietet er aber sehr wohl auch Lösungen an. Das beginnt mit einer eigenständigen Sicherheitskonzeption für Europa und führt über gezielte Talenteförderungen bis hin zu einer neuen innereuropäischen Solidarität. Er spricht sich aber auch für das Ende des Einstimmigkeitserfordernisses sowie für gezielte Partnerschaften wie mit Indien aus. Leitl wird sehr konkret: „Wir haben ein offenes Zeitfenster. Wenn wir innerhalb der kommenden fünf Jahre zu keiner europäischen Position in der Welt finden, schließt sich dieses Fenster. Und dann sind andere da, die unseren Platz einnehmen.“ Zum Beispiel China.

Vorreiter

Buch von Wolfram Elsner

Das chinesische Jahrhundert. Erschienen im Westend-Verlag. ISBN 978-3-86489-261-5

Einen Einblick in das China von heute gibt der deutsche Wirtschaftsexperte Wolfram Elsner in seinem brandaktuellen Buch „Das chinesische Jahrhundert“. Wie konnte es gelingen, dass sich China innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem technologisch führenden Land entwickelte? Zum Beispiel nehmen die Chinesen in der E-Mobilität, Solar- und Quantentechnologie, in der IT-Kommunikation, in der Medizinforschung und vielen anderen Bereichen weltweit die Vorreiterrolle ein. Auch der Anteil erneuerbarer und kohlenstofffreier Energien wächst in China weiter dynamisch. Im Jahr 2022 wird China nach einer Prognose des World Economic Forum rund 40 Prozent der weltweiten sauberen Energie erzeugen. Elsner will mit seinem Buch dazu animieren, „selbstkritisch unseren westlichen Zeitgeist und unsere sogenannte moralische Überlegenheit zu hinterfragen“. Er plädiert für einen offenen Dialog sowie eine langfristige und selbstbewusste Kooperation mit China.

 

 

Beitragsfoto: Brodschneider

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