Mein Weg: Frieda Moises

von NEUES LAND

Es gibt Menschen, die schon beim ersten Aufeinandertreffen Eindruck hinterlassen. Ist es ihre Aura, ihr Auftreten? Gudrun Preßler über ihre Begegnungen mit Ökonomierätin Frieda Moises aus Moosing.

 

Ich war ein junges, begeistertes Landjugendmitglied, als mir Frieda, die damalige Voitsberger Bezirksbäuerin, das erste Mal begegnete. Sie war eine überaus gepflegte, selbstbewusste, aber keineswegs aufdringliche Erscheinung. Freundlich, auf Menschen zugehend, offen für den Wandel, erfreut über die Leichtigkeit der jungen Generation, zurückhaltend zum richtigen Zeitpunkt und vorbildhaft bei der Weitergabe ihrer Funktionen.

Barbara Karlich Show

Ich habe sie vermisst, als sie sich ins Privatleben zurückgezogen hat und war erfreut, als sie 1996 den Titel „Ökonomierätin“ bekommen hat. 2014 konnte ich sie überreden, mit mir in die Barbara Karlich Show zu fahren. Das Thema lautete: „Die moderne Bäuerin“. Völlig entstaubt von romantischen Klischees hat sie damals die ältere Generation der Bäuerinnen vertreten.

Ich freue mich also auf dieses Gespräch mit Frieda, die zusammen mit ihrem Sohn Heribert, der mit dem Down Syndrom zur Welt kam, auf dem sieben Hektar großen Hof in Moosing in der Gemeinde Söding-St. Johann lebt. Mich erwartet eine herzliche Umarmung der Beiden und ich fühle mich sehr willkommen. Frieda und Heribert sind eine Einheit. Das spürt man in jeder Sekunde. Heribert erzählt mir sofort, dass er sehr krank war und nicht in seine geliebte Tageswerkstätte nach Lieboch konnte, wo er als Künstler wunderbare Auftragsbilder malt und zeichnet. Er hat schon tolle Auszeichnungen mit seinen Werken gewonnen. Auch mit den Stocksportschützen konnte er als Teil der Olympiamannschaft 2023 nicht mit ins Burgenland fahren, um dort zu trainieren.

Frieda ist nach wie vor eine bewundernswerte Frau, die ihr Leben trotz schwerer Schicksalsschläge fantastisch meistert. Mit 87 Jahren versorgt sie sich und Heribert noch immer selbst. Sie fährt noch kürzere Strecken mit ihrem Auto, erledigt ihre Einkäufe oder besucht den Sonntagsgottesdienst und das Grab ihres Mannes.

Sie kam als Erstgeborene von vier Mädchen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, der in einem anderen Ortsteil der Gemeinde liegt, zur Welt. Eine Berufsausbildung für Mädchen war damals nicht vorgesehen, aber über Kurse und auch in der Landjugend stillte man seinen Wissensdurst. Frieda übernahm gerne Verantwortung und wurde dadurch auch immer wieder für Funktionen vorgeschlagen.

In dieser Zeit lernte sie Franz kennen. Ein tüchtiger, junger Mann, dessen Eltern in Moosing einen Betrieb gepachtet hatten. „Mein Franz war ein ganz wunderbarer Mensch! Einfühlsam, zuvorkommend, wertschätzend, fleißig und strebsam. Es hat einfach alles gepasst und er war meine große Liebe!“, erzählt Frieda.

Hochzeit vor 64 Jahren

Im Mai 1959 gaben sie einander das Jawort und damit begann eine Erfolgsgeschichte. Die Beiden kauften den Betrieb vulgo Mascha und bewirtschafteten ihn mit unsagbarem Fleiß im Vollerwerb mit Milchwirtschaft, Ackerbau und Schweinemast. „Franz war ein begeisterter Fleckviehzüchter. Er war konsequent und hat alles genauestens dokumentiert. Wir haben damals bei den Versteigerungen gutes Geld mit unserem Zuchtvieh gemacht und hatten schöne gemeinsame Erfolgserlebnisse. Allerdings haben wir auch schwer dafür gearbeitet. Es war dennoch eine schöne Zeit für uns. Wir konnten uns aufeinander verlassen und waren ein gutes Team.“ Auch mit den Eltern von Franz verstand sich Frieda gut.

Sohn Heribert

„1960 kam Tochter Elfi zur Welt, 1964 Sohn Franz und 1969 kam unser Sorgenkind Heribert. Es gab damals keine Voruntersuchungen in der Schwangerschaft. Man wusste, dass man ein Kind erwartet und hat gehofft, dass es gesund zur Welt kommt. Bei Heribert merkten wir sehr bald, dass er sich anders entwickelt als seine Geschwister. Nach einer Untersuchung wurde mir vom damals sehr kompetenten Arzt Dr. Rosenkranz attestiert, dass Heribert den Anzeichen entsprechend mit Trisomie 21 geboren wurde (Anm. d. Red.: eine genetische Störung, bei der jede Körperzelle mit 47 statt 46 Chromosomen ausgestattet ist)“, erzählt Frieda.

Heribert Moises

1969 kam Sohn Heribert mit einer angeborenen Besonderheit auf die Welt. Er war auch das Rollmodel der Special Olympics 2017.

„Natürlich war das damals ein Schock für uns, zumal es vor allem bei uns am Land kaum eine gezielte Unterstützung für betroffene Kinder gab und das Thema Inklusion so gut wie keine Rolle spielte. Heribert brauchte durch seine langsame Entwicklung natürlich sehr viel Aufmerksamkeit. Wir mussten lernen, mit seinen Bedürfnissen umzugehen. Es gab damals keine großartigen Informationen oder Hilfen, die man beanspruchen konnte. Auch im zuständigen Sozialamt war man vom Gutdünken einzelner handelnder Personen abhängig. Er war aber auch ein außergewöhnlich herzliches und liebevolles Kind, das überschwänglich seine Freude zeigte und bei allen Arbeiten am Hof interessiert dabei war.“

Immer wieder bringt sich Heribert ins Gespräch ein und erzählt mir von seinen Erlebnissen am Hof. Man spürt, wie gerne er das alles macht.

„Meine große Sorge war natürlich, wie sich Heribert in weiterer Folge entwickeln wird“, erzählt Frieda. „Ich hörte von einem Kindergarten in der Mariengasse in Graz, wo diese Kinder eine besondere Förderung bekommen. Das Problem war, Heribert morgens nach Graz und abends wieder nach Hause zu bringen. Bei einem sonntäglichen Kirchgang kam ich mit unserem Nachbarn ins Gespräch, der als Bankangestellter täglich nach Graz zur Arbeit fuhr. Er chauffierte Heribert daraufhin drei Jahre lang tagtäglich in den Kindergarten. Mädchen aus der Nachbarschaft wechselten sich als Begleitpersonen im Auto ab. Dafür bin ich bis heute unendlich dankbar. Später besuchte Heribert die sonderpädagogische Schule am Rosenhain. Sein großes Talent im Zeichnen und Malen wurde dort ganz gezielt gefördert.“

Inzwischen ging es auch mit der betrieblichen Weiterentwicklung und Mechanisierung voran. Vor allem der Kauf eines Traktors erleichterte die Arbeit am Hof. Auch Frieda machte den Führerschein und konnte die Flächen bearbeiten.

Franz engagierte sich im Fleckviehzuchtverein und Frieda wurde Ortsbäuerin. 1981 wählte man sie zur Bezirksbäuerin. Eine Rolle, die sie hervorragend ausfüllte. Sie war ein Vorbild für die Bäuerinnen der damaligen Zeit. Es war der Kampf dieser selbstbewussten Frauen, denen wir unsere heutige soziale Absicherung wie die Bäuerinnenpension oder das Karenzgeld verdanken. Auch genossenschaftliche und kommunalpolitische Funktionen übte sie aus.

Doch am 11. August 1993 änderte sich die Welt von Frieda schlagartig! Wie immer hat Frieda das Melkzeug zusammengestellt und wollte Franz die Tiere füttern, als er mit der vollen Scheibtruhe vor der Stalltüre zusammenbrach. Im Schock rannte Frieda zum Nachbarn, um Hilfe zu holen. Trotz einstündiger Reanimation konnte man Franz nicht stabilisieren. Frieda musste trotz all ihrer Not die Stallarbeit erledigen, dann fuhr sie mit ihrer Schwester ins Krankenhaus. Da war Franz bereits verstorben. Er hatte einen schweren Hinterwandinfarkt.

„Es bricht eine Welt zusammen. Man verliert den Boden unter den Füssen und ist hilflos. Trotz der angebotenen Hilfe von vielen Seiten war dieses Ereignis eine Wucht, die tonnenschwer auf meinen Schultern lastete. Wir haben alle Entscheidungen gemeinsam getroffen, nun ist man allein für alles verantwortlich. Ich habe mehr als zehn Jahre gebraucht, um einigermaßen über diesen Verlust hinwegzukommen.“

Frieda war damals 56 Jahre alt. Sie übergab den Hof zur Hälfte an Sohn Franz, der ihn im Nebenerwerb weiterführt. Die Tierhaltung wurde inzwischen aufgegeben. Seit zwei Jahren hat man auf Bioackerbau umgestellt.

Rückblick auf ihr Leben

Auf meine Frage, wie Frieda rückblickend ihr Leben betrachtet, sagt sie: „Ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Es war ganz viel gute Lebenszeit dabei. Man muss nehmen, was kommt und das Beste daraus machen. Ich habe Kinder und vier wunderbare Enkelkinder und ich habe Heribert, der ein ganz wichtiger Teil meines Lebens ist. Er gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden, und ich muss mich für ihn anstrengen, um möglichst lange fit zu bleiben. Meine Tochter Elfi hat inzwischen die Sachwalterschaft übernommen. Ich weiß, dass sie einmal gut auf ihn aufpasst und er sie über alles liebt!“

Heribert hat mir inzwischen einen wunderbaren Kaffee zubereitet und wir essen gemeinsam einen herrlichen Kürbiskernkuchen. Er führt mich noch in sein Zimmer, wo ganz tolle Bilder von ihm hängen. Übrigens war er auch das Rollmodel der Special Olympics 2017. „Am Montag gehe ich wieder in die Tageswerkstätte. Ich freu mich! Ich bin glücklich!“ Wie schön diese Sätze klingen! Warum sagen wir diese Sätze so selten, oder haben wir das Gespür für das Glücklichsein verloren?

Ihr seid beeindruckend, Frieda und Heribert, und ich freue mich eure Geschichte zu erzählen! Ich bin glücklich! Danke, Heribert!

 

 

 

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1 kommentieren

Marianne Ofner 6. Oktober 2023 - 20:54

Die neue Leseserie „Mein Weg“ ist eine große Bereicherung im „Neuen Land“. Jede einzelne Geschichte ist so einfühlsam, abwechslungsreich und taktvoll formuliert, das man sie einfach gerne liest. Großes Kompliment an die Autorin.

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