Visionär für eine bessere Welt

von NEUES LAND

Josef Riegler ist der Baumeister für die ökologische Neuorientierung in der heimischen Agrarpolitik und Vater der Ökosozialen Marktwirtschaft. Am 1. November 2023 feiert er den 85. Geburtstag. Beitrag von Professor Gerhard Poschacher.

 

Die Vollendung des 85. Lebensjahres von Josef Riegler – erster Umweltlandesrat in der Steiermark, Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft (1987/89) und ÖVP-Parteichef sowie Vizekanzler (1989/1991) in der SPÖ/ÖVP-Koalition mit Bundeskanzler Franz Vranitzky –  am 1. November 2023 ist willkommener Anlass, das nach wie vor bestehende Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie zu beleuchten.

Wer vor einigen Jahrzehnten an der damaligen Hochschule für Bodenkultur, vor 150 Jahren in Wien von Kaiser Franz Joseph gegründet und heute als „Grüne Universität“ (Alma Mater Viridis) international mit fast 13.000 Studierenden bekannt, Vorlesungen hörte, erfuhr kaum etwas über den Biolandbau, Ökosysteme, Klima- und Bodenschutz, Energiewende oder nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme. Josef Riegler, Absolvent der Landwirtschaftlichen Studienrichtung an der damaligen Hochschule für Bodenkultur 1965, zählt noch zu jener Generation landwirtschaftlich ausgebildeter Akademiker (Dipl. Ing.), die erst während ihres Arbeitslebens in der Agrarverwaltung oder im Rahmen politischer Funktionen mit ökologischen Herausforderungen konfrontiert waren.

Zu Beginn der 1970er Jahre wurden die Fehlentwicklungen in der Agrarpolitik (Überproduktion, Massentierhaltung, Bodenschäden) immer deutlicher sichtbar. Agrarökonomen sprachen von „subventionierter Unvernunft“. Die nach der Gründung der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1958 vereinbarte Gemeinsamen Agrarpolitik (1962) mit dem Konzept „Wachsen oder Weichen“ stieß an ihre Grenzen und machte eine grundlegende Kurskorrektur notwendig.

Josef Riegler begründete eine bis heute gültige Agrarwende. Am 8. Mai 1988 präsentierte er in Wien das Konzept „Ökosoziales Manifest“ mit dem bäuerlichen Familienbetrieb als Leitbild. Die zentrale Botschaft lautete: Die Agrarpolitik hat dem Schutz der Lebensgrundlagen Boden und Wasser Vorrang einzuräumen. Die Produktion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen ist auf der Grundlage ökologischer Kriterien mit weniger Betriebsmitteleinsatz, vielfältigeren Fruchtfolgen auf den Ackerflächen (Getreide, Eiweiß- und Ölpflanzen) zu sichern und die Balance zwischen ökonomischen Rahmenbedingungen, ökologischen Erfordernissen und gesellschaftspolitischer Akzeptanz anzustreben.

Baumeister der ökologischen Agrarwende

Das Ökosoziale Agrarmodell wurde mit drei gleichrangigen Zielen formuliert: Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in der Land- und Forstwirtschaft, ökologische Verantwortung für Mensch, Natur und Umwelt sowie sozialer und ökonomischer Ausgleich zwischen bäuerlichen Familien in benachteiligten Regionen und Gunstlagen sowie die Integration der Landwirtschaftspolitik in eine ganzheitliche, ländliche Entwicklungsstrategie.

Josef Riegler ist der Baumeister für die ökologische Neuorientierung in der österreichischen Agrarpolitik, die auch einschneidenden Kurskorrekturen in der europäischen Landwirtschaftsstrategie befeuerte. Franz Fischler, Nachfolger von Josef Riegler als Landwirtschaftsminister (1989 bis 1994), hat diesen Weg fortgesetzt und vor allem auf mehr Qualität statt Quantität („Feinkostladen Österreich“) gesetzt und ein besseres Gleichgewicht auf den Agrarmärkten erreicht. Als Agrarkommissar von 1994 bis 2004 in Brüssel brachte er auf der Basis seiner Erfahrungen im Heimatland eine bis heute grundlegende und nachwirkende Reform der EU-Agrarpolitik zustande.

Mit der Agenda 2000/2003 wurden ökologische Kriterien (Arten- und Bodenschutz, Biodiversität, Biolandbau) Priorität eingeräumt und die ländliche Entwicklungspolitik ausgebaut. Schwerpunkte waren die Sicherung der Multifunktionalität der bäuerlichen Familienwirtschaften (Ernährung, nachwachsende Rohstoffe, Umweltleistungen, NATURA 2000-Gebiete) sowie die Qualitätsorientierung in der Produktion. Mit dieser Neuorientierung der EU-Agrarpolitik wurde der Abbau von Marktstützungen und Exportsubventionen angestrebt, um mehr Fördergelder für den ökologischen Landbau und benachteiligte Gebiete zur Verfügung zu haben.

Die Preispolitik wurde von der Einkommenspolitik entkoppelt. Machten 1991 die Direktzahlungen für benachteiligte Regionen und die Umwelt nur 9 Prozent des EU-Haushalts aus, sind es 2023 schon 68 Prozent von 56 Milliarden Euro. Für Marktmaßnahmen und die Überschussverwertung mussten vor 30 Jahren noch mehr als 90 Prozent der Brüsseler Agrarausgaben verwendet werden, aktuell sind es nur mehr 5 Prozent. Für die ländliche Entwicklung (Umweltprogramme, Bergbauern) werden in der in der EU schon 27 Prozent (15,9 Milliarden Euro) des Agrarhaushalts aufgewendet. Die jüngste EU-Agrarreform „Green Deal“, die ab 2023 in allen EU -Mitgliedsstaaten mit einigen nationalen Spielräumen umgesetzt wird, ist heute ein, wenn auch nicht unumstrittenes, Agrarkonzept, das Produktionsmethoden fördert, die einerseits die Versorgungssicherheit mit Grundnahrungsmitteln gewährleisten soll, aber anderseits auch der Umwelt und dem Klimaschutz Rechnung trägt.

Viele namhafte Mitstreiter

Die agrarpolitischen Meilensteine in Österreich und in der EU in den letzten Jahrzehnten dokumentieren die bis heute bestehenden Zielkonflikte zur Erreichung eines zukunftsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Josef Riegler hat mit bekannten Wissenschaftlern nicht nur als Landwirtschaftsminister und ÖVP-Parteichef, sondern auch als langjähriger Präsident des Ökosozialen Forums eine internationale Allianz geschmiedet und sein „Bauernmanifest“ zur Ökosozialen Marktwirtschaft weiterentwickelt. Zu erwähnen sind unter anderem der bekannte deutsche Zukunftsforscher Franz Josef Radermacher, der Schweizer Agrarökonom Hans W. Popp sowie der langjährige Geschäftsführer des Ökosozialen Forums, Ernst Scheiber. Heinrich Wohlmeyer, ein unermüdlicher Kämpfer für eine solidarische Wirtschaftsordnung und nachhaltige Landwirtschaft, hat Josef Riegler ebenso unterstützt wie Sixtus Lanner, der den Bauernbund als Direktor (1969 bis 1976) für eine integrale Politik im ländlichen Raum öffnete.

In zahlreichen Publikationen mit engagierten Mitstreitern hat Josef Riegler auch das Konzept „Global Marshallplan“ ausgearbeitet. Mit einer internationalen Finanztransaktionssteuer sollten Projekte für das Gemeinwohl finanziert werden. Hervorzuheben sind Bücher wie „Aufstand und Aufbruch“ (1996), in denen Thesen für eine zukunftstaugliche Agrarpolitik formuliert wurden. Im Buch „Die Bauern nicht dem Weltmarkt opfern“ (1999) wurden Vorschläge für die Verbesserung der Lebensqualität und Umwelt vorgestellt und das „Europäische Agrarmodell“ (ökologisch, sozial, wettbewerbsfähig) als Leitbild definiert. In der Publikation „Konfrontation und Versöhnung“ (2001) beschäftigen sich Josef Riegler und der frühere Vorstand des Instituts für Biotechnologie an der TU in Graz, Anton Moser, mit der Notwendigkeit, einen fundamentalen Kurswechsel in der auf einseitiges Wirtschaftswachstum ausgerichteten Politik vorzunehmen und auch das Ernährungsverhalten sowie den Ressourcenverbrauch (ökologischer Fußabdruck) der Gesellschaft zu überdenken. Mehr als 100 Beiträge aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung würdigen aus Anlass der Vollendung des 75. Lebensjahres von Josef Riegler im Jahre 2013 im Buch „Zukunft als Auftrag“ sein Wirken für eine weltweite ökosoziale Erneuerung.

Von der Vision zur Realität

Josef Riegler konnte als Politiker nicht jene Früchte ernten, die er sich durch sein unermüdliches und bis heute nicht erlahmendes Engagement für eine bessere Welt sowie lebenswerte Gesellschaft verdient hätte. Er kann aus Anlass der Vollendung seines 85. Lebensjahres aber mit Genugtuung bilanzieren, dass viele Visionen, für die vor 35 Jahren die Zeit noch nicht reif war, heute Realität sind. Die Erkenntnis, das ungeregelte Finanzmärkte, wirtschaftliches Wachstum ohne ökologische und soziale Spielregeln sowie Freiheit ohne Grenzen keine bessere Welt schaffen, ist heute (fast) politischer Konsens.

Die Prinzipien der Ökosozialen Marktwirtschaft mit dem Europäischen Agrarmodell fanden 1992 auch Eingang in das „Sozialwort“ der christlichen Glaubensgemeinschaften und werden auch sehr ausführlich in der Umweltenzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus behandelt. Ökosoziale Marktwirtschaft trägt zu einer zukunftsfähigen Entwicklung der wachsenden Weltbevölkerung bei, erkennt in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit steigenden Klimaflüchtlingen wichtige Partner und erhebt den Anspruch, dass nachhaltiger Umweltschutz und soziale Fairness jene Schlüsselbereiche sind, von denen die Verminderung der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich erwartet werden kann.

Die immer noch bestehende Hungersnot mit mehr als 800 Millionen unterernährter Menschen, Wassernot und der Verlust wertvoller Ackerflächen sind eine weltpolitische Zeitbombe. Weltweit schrumpfte die Ackerfläche in den vergangenen 50 Jahren von 3700 m2 pro Kopf auf 2000 m2 und könnte ohne Gegenmaßnahmen zur Verhinderung des Bodenfraßes bis 2050 nach Angaben der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bis 1700 m2 zurückgehen. Bis zu diesem Zeitpunkt müsste aber in Folge der Zunahme der Weltbevölkerung die Agrarproduktion um 60 Prozent gesteigert werden.

Zeit noch nicht reif

Josef Riegler hat für die ÖVP keine Wahl gewonnen, aber ihr in einer schwierigen Zeit und auf dem Weg Österreichs nach Europa mit einem Programm gedient, das aber erst in den vergangenen Jahren auch in der aktuellen Politik ihren Niederschlag fand. Mit der neuen EU-Agrarpolitik (Green Deal, Farm to Fork-Strategie) wurde ein Zukunftsprogramm für die Land- und Forstwirtschaft sowie Umwelt entwickelt. Sie bietet Planungssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern, trägt zur Stabilisierung der Märkte und zur Absicherung von Arbeitsplätzen im Agrar- und Ernährungssektor bei und wird zwischen 2023 und 2027 mit insgesamt 8,8 Milliarden Euro finanziert.

Die Abschaffung der kalten Progression nach jahrelangen erfolglosen Verhandlungen, die Entlastung des Faktors Arbeit, mehr Kostenwahrheit im Verkehrsbereich mit der CO2-Steuer und die Einführung des „Österreichtickets“ für den öffentlichen Verkehr sind zusammen mit Maßnahmen für die Energiewende und die Abkehr von fossilen Energieträgern ebenso eine politische Genugtuung für Josef Riegler wie die Tatsache, dass im „ÖVP-Grundsatzprogramm 2015“ festgehalten wurde, „seine Volkspartei“ bekennt sich nach wie vor zur Ökosozialen Marktwirtschaft und eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Sozialordnung.

Biologischer Landbau

Im Übrigen: Josef Riegler hat als erster Landwirtschaftsminister und gegen teilweise erheblichen Widerstand im Ressort und bei den Landwirtschaftskammern eine Abteilung „Biologischer Landbau“ eingerichtet. Zu dieser Zeit gab es nur ein paar Dutzend Biobauern in Österreich, die nicht selten der Häme ihrer konventionellen Berufskollegen ausgesetzt waren. Heute bewirtschaften rund 24.000 Betriebe mit mehr als 670.000 Hektar ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche und Politiker aller Parteien freuen sich darüber, dass Österreich „Bio-Europameister“ ist.

Josef Riegler

Im Jahr 2020 erhielt Josef Riegler den Ehrenring des Landes. In der Steiermark war er von 1983 bis 1987 Landesrat. Die Verleihung des Ehrenrings nahmen der damalige Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und dessen Vorgänger Franz Voves und Waltraud Klasnic vor.

Als (Fast)-Semesterkollege an der damaligen Hochschule für Bodenkultur, die Josef Riegler mit der Ehrendoktorwürde und mich mit der Ernennung zum „Ehrensenator“ auszeichnete, war ich im Landwirtschaftsministerium Mitarbeiter und Zeitzeuge für die Agrarwende nach 1987. Als langjähriger Leiter der Grundsatzabteilung im Landwirtschaftsministerium und Ideengeber wurde ich von Josef Riegler zur aktiven Mitarbeit für das „Ökosoziale Manifest“ eingeladen. Ich wünsche ihm im fortgeschrittenen Lebensalter noch lange die Freude, mitzuerleben, wie aktuell seine Konzepte für die nationale und internationale Politik heute sind.

 

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