Im Interview: Kurt Weinberger

von Karlheinz Lind

Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, über Wetterextreme, die das Land fest im Griff haben.

 

NEUES LAND: Bisher verursachten Starkregen, Sturm und Hagel schwerste Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen. Wie sieht die Schadensbilanz in der Steiermark für das Jahr 2021 aus?

Kurt Weinberger: Die sich ständig wiederholenden Unwetterereignisse führen uns klar vor Augen, dass der Klimawandel mit seinen Wetterextremen die Landwirtschaft fest im Würgegriff hält. Wie teuer uns das zu stehen kommt, zeigt das bisherige Schadensausmaß. Allein in der Steiermark beträgt der Schaden an landwirtschaftlichen Kulturen aufgrund von Hagel, Sturm und Überschwemmung Mitte August schon 24 Millionen Euro. Im Vergleich zum Vorjahr gab es bis Mitte August eine Verdoppelung der Schadensmeldungen bei diesen Risiken auf über 4.000. Doch auch der Frost stellte heuer in der Steiermark erneut ein massives Problem dar. Frostnächte mit Temperaturen von bis zu minus 8 Grad Celsius führten vielerorts zu schweren Schäden im Obstbau. Die Konsequenz war ein Gesamtschaden von 23 Millionen Euro. Hinzu kommt noch die Dürre mit Schäden im Grünland. Es ist aber verfrüht, Mitte August eine Endbilanz zu ziehen. Jedenfalls zeigen uns diese immensen Summen jetzt schon, was uns mangelnder Klimaschutz kostet – und das alleine in der Steiermark.

 

NL: Welche Regionen waren in der Steiermark besonders betroffen?

Kurt Weinberger: Von den Hagelunwettern der vergangenen Wochen und Monate blieben im Grunde keine Region in der Grünen Mark und keine landwirtschaftliche Kultur verschont. Besonders betroffen waren die Bezirke Graz-Umgebung, Südoststeiermark, Hartberg-Fürstenfeld und Weiz. Doch auch in Graz hat man die Intensität der Unwetter deutlich gespürt. Ende Juli standen viele Teile der Stadt aufgrund historischer Regenmengen unter Wasser. Messstellen verzeichneten teilweise mehr als 100 Liter pro Quadratmeter, an manchen Stellen wurden sogar bis zu 160 Liter gemessen. Aber auch die Bodenversiegelung trägt zu diesen katastrophalen Ereignissen bei, da zubetonierter Boden kein Wasser aufnehmen kann. Welche Auswirkungen aus derartigen Regenintensitäten in Kombination mit zubetonierten Böden entstehen, wurde uns am Abend des 30. Juli deutlich vor Augen geführt.

 

NL: Im Süden Europas gibt es derzeit enorme Waldbrände. Auf Sizilien wurde in der letzten Woche mit 48,8 Grad Celsius ein neuer europäischer Temperaturrekord gemessen. Worauf werden wir uns in Zukunft gefasst machen müssen?

Weinberger: Faktum ist, der Klimawandel, also die Erderwärmung, ist längst auch in Österreich spürbar. Während es vor 30 Jahren sechs Hitzetage, also Tage mit über 30 Grad, gegeben hat, gibt es mittlerweile im Durchschnitt 20 solcher Tage. Also mehr als das Dreifache. Die Konsequenz aus dieser Erderwärmung ist, dass mehr Energie und mehr Wasserdampf in der Atmosphäre sind. Dies führt zu mehr und intensiveren Unwetterextremereignissen wie Hagel, Sturm, Überschwemmung oder Dürre. Ereignisse, die früher oftmals als vermeintliche Jahrhundertereignisse bezeichnet wurden, treten nun in immer kürzeren Abständen auf. Konkret bedeutet das also, dass wir uns in Zukunft auf mehr Unwetterschäden gefasst machen müssen.

 

NL: Der Weltklimarat IPCC warnte in seinem jüngsten Bericht vor einer noch rascher fortschreitenden Erderwärmung wie prognostiziert. Wie interpretieren Sie diese aktuellen Zahlen?

Weinberger: Die Erde erwärmt sich rascher als erwartet, Wetterextreme wie Hitzewellen und starke Niederschläge werden häufiger, die Ursachen dafür sind menschengemacht. Darin besteht kein Zweifel mehr. Die Ergebnisse interpretiere ich als einen eindeutigen Weckruf. Die Wissenschaft warnt schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels und nun bestätigt sie diese erneut. Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen ungebremst so weitergeht, liegt die Erderwärmung in Österreich bis zum Jahr 2100 bei mindestens fünf Grad. Das würde bedeuten, dass am Ende des Jahrzehnts die heutigen Hitzerekorde von Sizilien auch bei uns der Normalfall sein werden. Es steht daher außer Streit, dass diese Schieflage schleunigst korrigiert werden muss. Und wem schon Ökologie und Klimaschutz egal sind, der sollte wenigstens Ökonomen glauben. So machen die Schäden alleine in der Landwirtschaft in den letzten fünf Jahren fast eine Milliarde Euro aus. Um diese Dimension geht es.

 

NL: Die Österreichische Hagelversicherung macht bereits seit Jahren auf den enormen Bodenverbrauch durch Verbauung aufmerksam. Bekommen wir nun schon die Rechnung präsentiert?

Weinberger: Wie teuer uns diese Rechnung zu stehen kommt, sehen wir anhand von zwei Faktoren. Einerseits nehmen aufgrund der ungebremsten Zubetonierung unserer Äcker und Wiesen Wetterextreme zu, da damit CO2- und Wasserspeicher verloren gehen. Andererseits entzieht uns fehlender Boden die Grundlage für die Lebensmittelproduktion. Österreich hat beim Brotgetreide bereits jetzt nur mehr einen Selbstversorgungsgrad von 85 Prozent, bei Kartoffeln 80 Prozent, bei Gemüse 55 Prozent, bei Obst nur mehr 45 Prozent und bei Soja nur 20 Prozent. Wenn wir so weitermachen, haben wir in 200 Jahren keine Äcker und Wiesen mehr zur Produktion heimischer Lebensmittel. Uns muss aber bewusst sein: ‚Von Beton können wir nicht abbeißen‘.

 

NL: Stichwort Klimakrise. Gibt es noch Auswege? Wie können Landwirte darauf reagieren?

Weinberger: Mit Maßnahmen wie Hagelnetzen oder einer trockenresistenteren Sortenwahl im Bereich der Dürre können Landwirte auf den Klimawandel reagieren. Hier ist auch die Forschung gefordert. So ist die Universität für Bodenkultur gerade bei der Pflanzenzüchtung sehr aktiv. Allerdings ist das kein Weg, der von heute auf morgen beschritten wird, sondern Jahre dauert. Wenn wir also ernsthaft einen Ausweg aus der Klimakrise erreichen wollen, dann müssen wir alle unseren Beitrag leisten und der Realität ins Auge sehen. Dazu gehört, dass wir unser Mobilitäts- und Konsumverhalten ändern und vertraglich festgelegte Klimaziele einhalten. Wer jetzt in der Politik ist, hat eine historische Verantwortung für unsere Enkelkinder. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden uns die Enkelkinder einmal fragen: ‚Warum habt ihr uns die Erde in so einem Zustand hinterlassen?‘

 

Zur Person:

  • Dr. Kurt Weinberger, 60, ist seit 1996 im Vorstand und seit 2002 Vorsitzender des Vorstands der Österreichischen Hagelversicherung.
  • 2015 wurde er zum Vizepräsidenten des Aufsichtsrats der ÖBB-Holding gewählt.
  • In der Funktionsperiode 2018 bis 2023 ist er Vorsitzender des Universitätsrates der Universität für Bodenkultur.
  • Weinberger engagiert sich seit mehr als 15 Jahren für mehr Klima- und Bodenschutz in Österreich.

Beitragsfoto: ÖHV

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