Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl über die Rolle der Katholischen Kirche in einer immer unsicherer werdenden Welt und über Veränderungen in der Gesellschaft.
NEUES LAND: Sehr geschätzter Herr Diözesanbischof, fremde Menschen klopfen an die Tür und bitten um Aufnahme. Ist diese Weihnachtsbotschaft für Christen nicht eine wahre Zerreißprobe?
Wilhelm Krautwaschl: Wir können dankbar sein, dass wir in Österreich wohnen. Denn quasi ums Eck, in der Ukraine, ist alles schon anders. Und daher stehen wir vor einem Dilemma. Täglich wird vielen, denen es nicht so gut geht, vor Augen geführt, wie schön es sein könnte. Wen wundert’s, dass unsere reiche Gesellschaft ein Magnet ist? Manchmal kommt mir vor, viele wissen nicht zu schätzen, wie gut es die allermeisten bei uns haben. Klar ist freilich, dass das kleine Österreich nicht die globalen Migrationsprobleme lösen kann, die auch deswegen wachsen, weil es die Erderwärmung gibt. Gott sei Dank ist die christliche Nächstenliebe in Österreich traditionell groß.
Krieg in der Ukraine
NL: Menschen flüchten, weil in ihrem Land ein Krieg tobt. Seit Februar erleben wir das in der Ukraine. Sie waren im Sommer zusammen mit Erzbischof Franz Lackner als Gesandte der österreichischen Bischofskonferenz in der Ukraine. Was konnten Sie den Menschen vor Ort und Vertretern der griechisch-katholischen Kirche mitgeben?
Krautwaschl: Vor allem, dass die Menschen in der Ukraine nicht allein sind in ihrer Not und in all der Ungerechtigkeit, mit der sie leben müssen. Wir haben dort mit den Menschen gefeiert, gebetet, getrauert. Es war großartig zu sehen, wie viel Hoffnung da ist trotz aller Probleme. Die Katholische Kirche Österreich hat einige Hilfsprojekte in der Ukraine und dafür haben wir zusätzliche Mittel freigegeben, um vor Ort, an den Grenzen zur Ukraine – denken wir doch nur an Moldawien – , und auch hier bei uns den Geflüchteten beistehen zu können. Ebenso haben wir im Zuge der Inflation und Energiekrise so manches bei der Inlandshilfe auf den Weg gebracht.
Menschen in der Armutsfalle
NL: Die Inflation ist heuer rasant gestiegen. Immer mehr Menschen geraten in die Armutsfalle. Wie kann da die Kirche den Menschen helfen?
Krautwaschl: Wir sind vielfältig da. Wir helfen in den Gemeinschaften in den Pfarren vor Ort, etwa durch die Pfarrcaritas. Jede Pfarrgemeinde ist quasi ein eigenes Netzwerk der Nächstenliebe. Dazu kommen kirchliche Hilfsorganisationen – die Caritas, die Vinziwerke und viele kleinere Engagements. Und natürlich beten wir gemeinsam, bitten für Menschen in Not, feiern gemeinsam und sind in der Hoffnung verbunden, dass es besser wird. Das ist sehr bestärkend.
NL: Von den Kostensteigerungen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen ist auch die Katholische Kirche in der Steiermark betroffen. Viele Pfarren schaffen es nicht mehr, einen ausgeglichenen Haushaltsvoranschlag zustande zu bringen. Droht der Ausverkauf von Pfarrhöfen und anderen Kirchengebäuden?
Krautwaschl: Die Kostensteigerungen treffen uns wirklich. Ich denke etwa an die gestiegenen Energiekosten oder die entsprechenden Gehaltserhöhungen. Gleichzeitig müssen wir bei den Einnahmen, also den Kirchenbeiträgen, die ohnehin schon belasteten Menschen im Blick haben. Ein Ausverkauf droht nicht, das wollen wir verhindern, denn Kirche ist ja Identität. Das Leben bleibt freilich vor Ort. Wir werden aber sparen müssen, das steht außer Frage – aber eben anders.
NL: Heuer gab es die Pfarrgemeinderatswahlen. Spüren Sie einen neuen Esprit bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Pfarren oder gehen die ebenso aus wie die Priester, wo es kaum noch Nachwuchs gibt?
Krautwaschl: Derzeit gehen die Ehrenamtlichen nicht aus. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass viele neue Pfarrgemeinderätinnen und -räte kandidiert haben und gewählt wurden. Wir merken aber, dass sich die Menschen derzeit mehr auf sich selbst konzentrieren, weil die eigene Situation schwieriger geworden ist. Die Bereitschaft, sich einzubringen, ist aber nach wie vor da, wenn auch etwas abnehmend.
Leben im Zeitenwandel
NL: Bei den heurigen Priestertagen der Diözese Graz-Seckau zitierten Sie Papst Franziskus: „Wir leben nicht in einer Zeit des Wandels, sondern in einem Zeitenwandel“. Wie haben Sie das gemeint?
Krautwaschl: Jeder Zeit für sich liegt ein Wandel inne. Dinge ändern sich unaufhaltbar. Doch seit Jahren erleben wir ein epochales Ereignis, das nicht bloß Altbekanntes weiterschreibt, sondern etwa mit der Digitalisierung, die vieles in der Welt, nicht nur die Kommunikation, verändert, völlig Neues. Dieser Zeitenwandel zeigt sich auch in den Auswirkungen der Klimaerwärmung und der damit verbundenen Migration, in der Gesellschaft, die sich weg von der Gemeinschaft hin zur „Ich-AG“ bewegt und zum Leben in Blasen Gleichgesinnter. Das wird durch die sogenannten „sozialen Medien“ massiv befeuert. Das große Ganze drohen wir aus den Augen zu verlieren. Die Kirche bemüht sich, für alle offen und da zu sein.
NL: Zum Schluss möchte ich Sie fragen: Was wünschen Sie unseren Lesern und Leserinnen, den Bauern und Bäuerinnen zum Weihnachtsfest?
Krautwaschl: Ich wünsche ihnen frohe Weihnachten und eine Zeit voll Freude in und mit den anderen zu Hause, in den Familien. Ich wünsche segensreiche Weihnachten und dass sie alle getragen sind vom bestärkenden Gefühl, dass Jesus geboren wurde, dass der Sohn Gottes unter uns gewohnt hat, dass uns allzeit Hoffnung und Freude zuteil ist. Ich wünsche ein gutes Jahr 2023 für Mensch, Tier und Pflanzen. Und ich wünsche Frieden in den Herzen und in der Welt.
Zur Person
Wilhelm Krautwaschl (59) wurde im Jahr 2015 Bischof der Diözese Graz-Seckau. Der gebürtige Gleisdorfer, dessen Eltern eine kleine Landwirtschaft hatten, wurde 1990 zum Priester geweiht. Ehe er 2006 Regens im Bischöflichen Seminar Augustinum in Graz wurde, war er Pfarrer in Bruck an der Mur.
Beitragsfoto: Katholische Kirche Steiermark