Im Interview: Inge Friedl

von Karl Brodschneider

Die Historikerin und Autorin Inge Friedl spürt in ihrem neuen Buch „Was sich bewährt hat“ die Gründe auf, warum die Zufriedenheit und die Gemeinschaft vielerorts verloren gehen und welche Folgen das hat.

 

NEUES LAND: Vor kurzem ist im Styria-Verlag Ihr neues Buch „Was sich bewährt hat“ erschienen. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über den wohlverdienten Feierabend zu schreiben?

Inge Friedl: Seit vielen Jahren führe ich Gespräche mit Menschen am Land. Oft saß ich mit älteren Bauern und Bäuerinnen beieinander und hörte zu, wie sie vom „alten Bauernleben“ erzählten. Von einem Leben, dass zwar erst einige Jahrzehnte zurückliegt, aber das dennoch ganz anders war. Es war die Zeit, als die Mechanisierung noch nicht komplett Einzug gehalten hat und noch zahlreiche Menschen in einem Bauernhaus lebten. Natürlich war diese alte Zeit nicht nur eine „gute“ Zeit. Aber dennoch gibt es vieles, was „sich bewährt hat“, was uns heute noch guttun würde. Und so kam die Idee, das Beste aus all diesen Gesprächen zu nehmen und in Bezug zu unserem heutigen Leben zu setzen.

 

Eines nach dem anderen

NL: Wir leben heute in einer Zeit, wo uns viele Dinge zur Verfügung stehen, die uns helfen Zeit zu sparen und trotzdem scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Warum ist das so?

Friedl: In der alten bäuerlichen Welt ging es nicht ums Zeitsparen, sondern um ein angemessenes Tempo, in dem eines nach dem anderen erledigt wurde. Es war eine andere Zeitkultur, in der man nicht die Minuten und schon gar nicht die Sekunden gemessen hat. Heute möchte man Zeit sparen und das hat seinen Preis. Zeitdruck entsteht, wenn man auf die Uhr schaut und sich beeilt, schnell fertig zu sein, um zum Beispiel endlich Freizeit zu haben. Ich halte mich lieber an den Ratschlag eines alten erfahrenen Bauern zum Thema Zeitsparen: „Den Feierabend musst du in der Früh suchen!“

 

NL: Viele Ihrer Gesprächspartner in Ihrem Buch waren Bäuerinnen und Bauern. Haben diese noch etwas (gehabt), was andere schon lange nicht mehr haben?

Friedl: Gute Frage. Irgendwann habe ich begonnen, allen Gesprächspartnern die gleiche Frage zu stellen: Was vermisst ihr am meisten an der alten Zeit? Die Antwort war praktisch immer die gleiche: Die Zufriedenheit und die Gemeinschaft, die wir damals hatten!

 

NL: Kann man Einfachheit heute noch lernen oder ist Einfachheit bloß das Ergebnis wirtschaftlichen Mangels?

Friedl: Beides! Einfachheit und Bescheidenheit waren früher notgedrungen Lebensformen vieler Menschen. Heute können wir uns bewusst dafür entscheiden. Wir fragen uns: Wie viel brauchen wir wirklich? Wann dürfen wir sagen: Danke, das genügt! Wenn wir dahin kommen, uns zu „bescheiden“, nicht immer alles haben zu wollen, dann sind wir zufrieden.

 

NL: Ein altes Sprichwort sagt: „Beim Reden kommen die Leut` z`samm“. Stimmt dieser Satz noch und wie stark hat sich die Gesprächskultur von heute im Vergleich zu jener vor 50 Jahren verändert?

Friedl: Interessanterweise haben viele meiner Gesprächspartner betont, dass „einfach miteinander reden“ mit den Jungen nicht mehr so möglich ist wie früher. Die alte Gesprächskultur, wo man nach Feierabend zusammensitzt und plaudert, Dinge bespricht, scheint verloren gegangen zu sein. Auch das Zuhören hat sich verändert. Heute fehlt vielen die Geduld. Manches ist ganz verschwunden, etwa das Erzählen von Geschichten – früher eine beliebte Abendunterhaltung im Winter.

 

Handy und Fernsehen

NL: Wie sehr veränderten das Fernsehen und das Handy unser Leben?

Friedl: Heute gilt das Handy als großer Kommunikationsstörer, was es ja auch tatsächlich oft ist. Wir alle kennen Situationen, wo jeder nur auf sein Mobiltelefon blickt und keiner den anderen anschaut. Aber tatsächlich hat auch der Fernseher sehr viel in unserem Leben verändert. Davor ging man am Abend zum Nachbarn Karten spielen, saß im Sommer gemeinsam draußen auf der Bank und traf sich im Winter in der warmen Stube. Anfangs, als in einem Dorf nur wenige ein TV-Gerät besaßen, trafen sich die Kinder mittwochs um Kasperl zu schauen und die Erwachsenen samstags zur Löwingerbühne. Aber sehr schnell saß jeder in seinem Haus vor dem Kastl, oft sogar alle Familienmitglieder in einem anderen Raum.

 

NL: Sie behaupten im Buch, dass Zufriedenheit eine Frage der Entscheidung ist. Wie meinen Sie das?

Friedl: Heute haben wir in vielen Dingen die Qual der Wahl. Was kaufen wir? Welchen Beruf wählen wir? Ist dieser Lebenspartner der Richtige oder sollten wir uns lieber nach einem anderen umschauen? Wohin fahren wir auf Urlaub? Man könnte ständig unzufrieden sein, weil es doch anscheinend immer noch etwas Besseres gäbe. Früher war es leichter, zufrieden zu sein, weil alle gleich wenig hatten. Heute müssen wir uns dazu entscheiden und in manchen Bereichen unseres Lebens zu dem Punkt kommen, um zu sagen: Ich habe genug. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.

 

NL: Wir reden von Multitasking. Kann man es erlernen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun oder ist das eine große Selbstlüge?

Friedl: Das Phänomen Multitasking ist ein Mythos, der nicht funktioniert. Dazu gibt es eine Studie vom Londoner King`s College. Zwei Kontrollgruppen bekamen mittelschwere Aufgaben zugeteilt. Die einen wurden ständig von E-Mails unterbrochen, die anderen mussten (oder durften) Marihuana rauchen. Das verblüffende Ergebnis: Die zweite Gruppe schnitt beim Lösen der Aufgaben bedeutend besser ab. Auch hier können wir von unseren Vorfahren lernen, die zwar viel gearbeitet, aber immer schön eines nach dem anderen erledigt haben.

 

NL: Wem legen Sie Ihr Buch besonders ans Herz, warum soll man Ihr Buch lesen?

Friedl: Jeder, der sich für alte Lebensweisen interessiert, die in unserem heutigen Leben noch eine Rolle spielen sollten.

 

Zur Person

Inge Friedl wohnt am Stadtrand von Graz, ist Historikerin, Museumspädagogin und Autorin, unermüdliche Sammlerin und Archivarin. In ihren Büchern vermittelt sie altes Wissen, Geschichten und Weisheiten, die heute wieder hochaktuell sind. Vor 15 Jahren erschien in Zusammenarbeit mit NEUES LAND das Buch „Wie`s g`wesn is“.

 

 

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