Familiäre Pflege ist herausfordernd. Je mehr gewisse Aspekte berücksichtigt werden, desto eher gelingt es, in dieser Pflegezeit selbst „gesund“ zu bleiben. Gedanken und Ratschläge von Birgit Jellenz-Siegel.
Rund 80 Prozent der Betreuungs- und Pflegeleistungen in Österreich werden innerhalb der Familie erbracht – und das vorrangig von Frauen: von Partnerinnen, Töchtern und Schwiegertöchtern. In der Landwirtschaft werden diese Tätigkeiten meist zusätzlich zur Berufstätigkeit, zu Arbeiten im Haus beziehungsweise am Hof und der Mutterrolle getätigt.
Ein unmögliches Unterfangen? Es scheint so! In meiner langjährigen Tätigkeit als Seminarleiterin und Beraterin von pflegenden Angehörigen erlebe ich viel Überforderung und Verzweiflung. Die Tage sind zu kurz, die Kräfte zu wenig, die Aufgaben scheinbar unendlich. Erfreulicherweise durfte ich auch Menschen kennenlernen, die manch schwierige Betreuungs- und Pflegesituation scheinbar leichter meisterten. Dabei scheinen folgende Einstellungen und Verhaltensweisen hilfreich.
Will ich diese Betreuungs- und Pflegetätigkeit übernehmen?
Man kann in eine Pflegetätigkeit „hineinstolpern“, man kann sich aber auch bewusst dafür entscheiden. Sich zu fragen „Bin ich die/der Richtige? Wieviel Pflegezeit und welche Art der Pflege sind für mich vorstellbar?“ ist dazu der erste Schritt. Nicht jeder Mensch besitzt die Fähigkeiten für eine gute, achtsame Pflege. Sich dagegen zu entscheiden, ist erlaubt. Diese Entscheidung fällt heute angesichts vielfältiger professioneller Unterstützungen leichter als noch vor 30 Jahren.
Wo hole ich mir Unterstützung?
Was kann und möchte ich einbringen? Wo brauche ich Unterstützung? Hilfreich erscheint, sich innerhalb der Familie zusammenzusetzen und – wenn möglich gemeinsam mit dem zu Pflegenden – die nächsten Schritte zu besprechen.
Familiäre Betreuungs- und Pflegetätigkeiten liegen in der Verantwortung jedes einzelnen Familienmitglieds und nicht nur bei den Hofübernehmern. Hier wirkt der Passus in Übergabeverträgen „Wer den Hof bekommt, ist auch verantwortlich für die Pflege der HofübergeberInnen“ den vorhandenen stärker wirkenden familiären Bindungen entgegen. So können oder möchten auch weichende Erben oder andere Familienmitglieder ihren Teil dazu beitragen.
Schrittweise spezifische Pflegetätigkeiten in professionelle Hände zu legen, bringt Pausen beziehungsweise schafft zusätzlich qualitative Zeiten mit dem zu Pflegenden.
So viel kann ich – so viel schaff´ ich!
Selbst anzuerkennen, was und wieviel man leistet, erleichtert, sich über Pausen und Auszeiten Gedanken zu machen. Der Traktor erhält regelmäßig ein Service. Aber was tue ich für mich? Wann habe ich das letzte Mal meine Freundin besucht, meine Walkingstecken benutzt, mit meinem Mann eine Therme besucht? Eigene Bedürfnisse und Sehnsüchte abzudecken, wirkt sich positiv auf die Pflegebeziehung aus. Auch Routinen dürfen sich verändern: Wochenend-Kochen für alle einschränken, sich einladen lassen, weniger tägliche Hausreinigung. Dabei ist es gut zu wissen, dass diese Selbstfürsorge nichts mit Egoismus zu tun hat.
Was weiß ich über diesen Krankheitsprozess?
Verzerrte Wahrnehmung von zu Pflegenden, Vorwürfe wie „Du kümmerst dich gar nicht mehr um mich“, erhöhte Ängstlichkeit, Wutanfälle, Rückzugstendenzen oder starke Verwirrtheit können die herausfordernde Pflegezeit unerträglich machen.
Es erleichtert ungemein, sich Informationen über die jeweilige Krankheit und die damit verbundenen Symptome zu verschaffen. Regelmäßige Gespräche mit Fachleuten, Stammtische, Vorträge oder Seminare schaffen dazu Orientierung und erleichtern es, Veränderungen bei der zu pflegenden Person als Teil ihrer Krankheit einzustufen. Andernfalls wird vieles persönlich genommen und Kränkungen nehmen überhand.
Sie ist nicht mehr diese Person, die ich kenne
Jahrelanges Zusammenleben schafft Vertrautheit. Man kennt sich, weiß was der oder die andere will, was nicht. Alters- und Krankheitsprozesse verändern Menschen in ihrer Persönlichkeit und ihren Vorlieben. Plötzlich stellt man fest: „Meiner Mutter waren Ordnung und Sauberkeit immer so wichtig. Jetzt lässt sie sich vollständig gehen.“ Je mehr damit gerechnet wird, desto leichter gelingt es, diese „unbekannte Seite“ in den Alltag zu integrieren und diese „neuen“ Bedürfnisse zu akzeptieren.
Ich pflege meine Mutter – ich bin aber auch ihre Tochter!
Zur langjährig bekannten familiären Beziehung kommt eine neue Beziehung hinzu: die Pflegebeziehung. Aufgaben und Verantwortungen werden anders aufgeteilt, Rollen verändern sich. Plötzlich entscheidet die Tochter für ihre Mutter. Wenn es gelingt, bestehende familiäre Konflikte aus der Pflegebeziehung draußen zu lassen, wird es leichter. Andererseits kann neue Nähe entstehen, wenn zum Beispiel anhand von Fotos in die gemeinsame Vergangenheit eingetaucht wird.
Über die Autorin
Dr. Birgit Jellenz-Siegel ist Psychologin, Lebens- und Sozialberaterin. Jahrelange Seminartätigkeit für Bauern und Bäuerinnen – österreichweit. Begleitung von pflegenden Angehörigen, in Krisensituationen und Hofübergabeprozessen. Sie ist auch stellvertretende Obfrau von www.zukunft-bauernhof.at Praxis in Graz. www.jellenz-siegel.at, +43 664 140 15 60.