Die Weststeirerin Anni Prettenthaler hatte es wohl nie leicht, dennoch schaut sie ohne Verbitterung auf ihr bisheriges Leben als Bäuerin zurück. Porträt verfasst von Gudrun Preßler.
Dieser Tage bin ich auf dem Weg zu einem Gespräch mit Anni, einer Bäuerin aus Södingberg. Ich ärgere mich, weil ich viel zu spät dran bin, aber so ist das eben, wenn man selbst einen Bauernhof hat. Da lässt sich nichts auf die Minute genau planen.
Ich mag diesen Teil der Weststeiermark mit den klein strukturierten Landwirtschaften. Frisch gemähte Wiesen, daneben kleine Waldstücke und immer wieder sorgfältig gepflegte Bauernhöfe. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. An einer Abzweigung sehe ich mindestens zehn aufgestellte Störche. Da bin ich richtig, denn Anni hat mir von ihren vier kleinen Enkelkindern erzählt, die alle auf dem Hof wohnen.
Sohn Markus, der schon zur Hälfte Besitzer des Hofes ist, lebt mit seiner Partnerin Julia und den drei Kindern im neuen Zubau des Elternhauses. Und auch Tochter Maria hat mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn eine Wohnung im angrenzenden Nebengebäude.
Man sieht der jung aussehenden Oma Anni an, wie sehr sie sich über ihre Großfamilie am Hof freut. „Hier fühlen sich alle geborgen. Hier greift jeder mit an, sonst hätten wir unsere Situation nicht gemeistert“, sagt diese zierliche, hübsche 55-jährige Frau, der das Leben alles abverlangt hat, was man sich nur vorstellen kann.
Junge Liebe
Aufgewachsen auf einem Bauernhof in der Nähe von Eibiswald, verschlug es Anni nach dem Besuch der Landwirtschaftlichen Fachschule St. Martin als Koch-Kellnerlehrling nach Stiwoll. In dieser Zeit lernte sie ihren zukünftigen Mann Hans kennen und schon sehr bald, im Alter von 20 Jahren, wurde sie Mutter von Tochter Maria.
Die beiden heirateten ein Jahr darauf und zogen auf den elterlichen Bauernhof. Hans war eines von sechs Kindern und sollte den Hof übernehmen. Für Anni kam diese Übernahme fast zu früh. Sie hätte den Hof gerne für einige Zeit gepachtet, um sicherzugehen, dass sie als Bäuerin auch geeignet ist.
Anni erwartete bereits ihr zweites Kind. Die Hofübernahme war ein halbes Jahr zuvor über die Bühne gegangen und die Hochzeit ihrer Schwester stand am Wochenende bevor, als das Schicksal die junge Familie mit aller Härte und unsagbarer Wucht traf. „Hans hat das Auto für die Hochzeit gewaschen, bei der er Beistand sein sollte. Plötzlich bekam er Herzrhythmusstörungen. Man brachte ihn mit Herzrasen ins Krankenhaus. Als ich mit einer Freundin dort am Gang wartete, bemerkte ich plötzlich, wie die Ärzte und Schwestern in höchstem Aufruhr waren. Als ich unruhig um Auskunft bat, erklärte man mir, dass mein Mann einen Herzstillstand hatte, aber reanimiert wurde.“
Sein Zustand verschlechterte sich aber weiterhin. Hans fiel aufgrund einer Hirnschwellung ins Koma und wachte erst nach 14 Tagen mit massiven spastischen Schäden wieder auf. „Er konnte nicht mehr reden, sein ganzer Körper krampfte und zog sich zusammen. Ernährt wurde er über eine Magensonde. Das einzig Positive war, dass er keine geistigen Schäden hatte.“
„Er hat mich gebraucht“
Ich frage mich, was in so einer Situation in einer jungen schwangeren Frau vorgehen muss. Ein schwerst zu pflegender Mann, ein Baby, ein Kleinkind, ein gerade erst übernommener Milchviehbetrieb, die Arbeit am Hof! Was tut man gegen die Angst, was gegen die Trauer um den Verlust einer glücklichen Zukunft? Woher nimmt man die Energie und die Kraft weiterzumachen? „Ich habe diesen Mann aus Liebe geheiratet“, sagt Anni. „Man kann nicht einfach davonlaufen, wenn es schlecht geht. Er hat mich gebraucht und ich war für ihn da. Hans hätte mich auch auf Händen getragen, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Ich habe mich ganz bewusst für diesen Weg entschieden!“
„Nach sieben Monaten Krankenhaus und Rehabilitation und vier Wochen nach der Geburt von Sohn Markus nahm ich Hans nach Hause. Man konnte seinen Zustand nicht verbessern und ich spürte, dass er heim wollte. Wir hatten inzwischen einen Weg gefunden, miteinander zu kommunizieren.“
Anni entwickelte Therapien für Hans, machte täglich Ölbäder und sanfte Dehnungen gegen seine Verkrampfungen. Seine Magensonde konnte entfernt werden und er schaffte mit Annis Hilfe sogar die Stufen ins Schlafzimmer im ersten Stock. Er nahm wieder teil am Leben auf dem Hof – und nicht nur auf dem Hof. „Ich hatte Hans überall mit – bei Chorveranstaltungen, Schulfeiern, kirchlichen Festen, beim Einkaufen. Es war mir wichtig, dass wir beide noch ein gesellschaftliches Leben haben. Nicht jeder konnte mit seiner Behinderung umgehen, und der Freundeskreis war zum Teil ein anderer als vor der Erkrankung.
25 Jahre lang gepflegt
Anni hat Hans 25 Jahre lang gepflegt. Sie hat wenige Nächte durchgeschlafen, hat ihn umgebettet, damit er nicht wund liegt. Tägliche Mobilisation, Hygiene, Spaziergänge…. und da war noch die Arbeit am Hof. Anni ist Fleckviehzüchterin und melkt bis heute sechs bis acht Kühe, um ein kleines, aber sicheres Einkommen zu haben. „Finanziell war es nicht einfach! Kamen Reparaturen oder unvorhergesehene Tierarztkosten dazu, wurde es schwierig. Auch den Kindern wollte ich die Schulkurse ermöglichen. Wir mussten wirklich sehr sparsam sein. Große Schritte waren nie möglich. Es war mir aber vor allem wichtig, schuldenfrei zu bleiben.“
Im Jahr 2008 riss das Sturmtief Paula eine große Anzahl an Bäumen nieder. Dächer und Gebäude wurden beschädigt. Ein Jahr darauf folgten massive Hagelschäden. Beinahe wäre Anni von einer Kuh zertrampelt worden. Ohne Tochter Maria, die im letzten Moment eingreifen konnte, wäre wohl ein noch größeres Unglück passiert. All das brachte die Familie an ihre Grenzen.
Hans starb vor acht Jahren an einem Darmverschluss. Immer wieder hatte er durch das viele Sitzen Verdauungsprobleme und musste ins Krankenhaus. Diesmal kam er nicht wieder nach Hause. Um zwei Uhr morgens, am 26. Hochzeitstag, wurde Anni vom Tod ihres Mannes informiert.
Was bleibt nach acht Jahren Abstand von dieser Zeit? „Hans war für uns alle der Mittelpunkt am Hof! Unser Leben hat sich um ihn gedreht. Er war bei jeder Arbeit im Rollstuhl dabei und hat alle Entscheidungen mitgetragen. Nach seinem Tod war eine bestimmte Leere da. Heute bin ich froh, dass ich den Hof für meine Kinder erhalten konnte. Sie waren mir immer eine große Stütze. Auch die bereits verstorbenen Schwiegereltern standen mir immer zur Seite.“
In kleinen Schritten wurde der Hof nach und nach modernisiert. Das Stallgebäude ist allerdings sanierungsbedürftig. Sohn Markus, der ein geschickter Bauer ist, wird den Hof bestimmt gut in die betriebliche Zukunft führen.
Forstunfall des Sohnes
Ich habe das Gefühl, dass Anni alles schafft, aber gibt es da nicht auch ein paar Träume und Sehnsüchte? Gab es in all den Jahren nie den Wunsch nach ein wenig Auszeit? „Das habe ich nie gebraucht! Ich hab’s doch schön hier! Ich wünsche mir nur, dass die Familie gesund bleibt, denn etwas hätte mich doch fast aus der Bahn geworfen. Das war der Tag, als Sohn Markus einen schweren Forstunfall hatte, bei dem ihm im Bauchraum ein Blutgefäß platzte. Er wurde zum Glück von einem guten Ärzteteam, das gerade zur Stelle war, in letzter Minute gerettet.“
Anni könnte noch so viel mehr von ihrem Leben erzählen, von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, von ihrem Gottvertrauen und dass ihr der Glaube in schweren Zeiten immer Kraft gegeben hat. Auch von der Einsamkeit, die man zwischendurch empfindet, oder davon, dass man nach 25 Jahren Pflege keine finanziellen Ansprüche hat.
Ich ziehe meinen Hut vor dieser Frau. Vor ihrer Leistung, vor ihrer Haltung und dafür, dass sie bäuerliche Werte wie das Erhalten des Hofes für die nächste Generation weitergibt. Werte, wie Zufriedenheit, Bescheidenheit und ein gutes Auskommen mit seinen Nachbarn sind in der heutigen Gesellschaft selten geworden.
Während unseres Gesprächs sind die vier Enkelkinder müde geworden. Ich glaube, Hans hätte seine Freude mit den drei Buben und dem kleinen Mädchen gehabt. Und ich bin sicher, er wäre auch weiterhin der Mittelpunkt am Hof geblieben.
Beitragsfotos: privat
2 Kommentare
Sehr lieb geschrieben, das Portrait einer beeindruckenden Frau, die übrigens bei uns im Gasthaus in Stiwoll ihre Lehre absolviert hat.
Danke, lieber Bernd!
Ja, sie ist wirklich bewundernswert!
Ihre Lebensgeschichte ist schon beeindruckend, und sie ist so ein positives Beispiel in einer Zeit, wo man alles zum Problem macht!
Liebe Grüße nach Stiwoll, Gudrun