Im Interview: Simone Schmiedtbauer

von Karl Brodschneider

EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer über Tiertransporte, den Wolf, die GAP und ihre Empörung über die EU-Haltung zum Atomstrom.

 

NEUES LAND: Gleich zum Beginn eine Frage, die uns alle beschäftigt. Wie erleben Sie die sich zuspitzende Situation zwischen Russland und der Ukraine? Kann die EU etwas zur Deeskalation beitragen?

Simone Schmiedtbauer: Das Allerwichtigste ist, dass Emotionen herausgenommen werden und der Dialog gesucht wird. Die EU muss sich in die Diskussion einbringen, denn jeder Krieg, der neu begonnen wird, ist einer zu viel. Solange geredet wird, hat man noch den Fuß in der Tür. Tatsache ist, dass die Lage sehr bedenklich ist. Viele von uns sind sich auch angesichts dieses Konfliktes noch nicht bewusst, welch großes Friedensprojekt die Europäische Union ist.

 

„Grüner“ Atomstrom

NL: Wie groß ist Ihr Unbehagen, dass die EU-Kommission in der sogenannten Taxonomieverordnung Erdgas und Atomenergie für eine bestimmte Zeit und unter bestimmten Voraussetzungen als umweltfreundlich einstuft?

Schmiedtbauer: Das lässt sich nicht mit Unbehagen ausdrücken, sondern das ist vollkommen unverständlich, unfassbar! Im Endeffekt wissen die Entscheidungsträger in der EU, dass ihre gesetzten Klimaziele in der vorgegebenen Zeit sehr ambitioniert und nur schwer erreichbar sind. Darum gilt mehr denn je, dass wir die Möglichkeiten an erneuerbaren Energien nützen, die wir haben, Stichwort Biomasse. Wir müssen auch in Forschung und Innovation investieren.

 

NL: Frankreich führt derzeit den EU-Vorsitz und greift jetzt die langjährige Forderung Österreichs auf, dass Importe von Agrarprodukten in die EU dieselben Produktions-, Tierschutz- und Umweltstandards erfüllen müssen wie europäische Erzeugnisse selbst. Ist da etwas in Bewegung gekommen?

Schmiedtbauer: Die EU setzt immer höhere Anforderungen an unsere Landwirte und denkt die Geschichte nicht fertig. Weniger Pflanzenschutz, weniger Antibiotika, Außernutzungstellung von Flächen etc. Unser Hausverstand sagt, dass sich das auswirken wird und wir Probleme mit der Lebensmittelversorgung bekommen könnten. Auf der anderen Seite importieren wir aus Nicht-EU-Ländern Produkte und niemand macht sich Gedanken, unter welchen Bedingungen dort erzeugt wird. Das ist unfair und eine scheinheilige Politik. Daher begrüße ich ausdrücklich, dass Frankreich als derzeitiges EU-Vorsitzland unter dem Schlagwort „Spiegelklauseln” in Handelsabkommen unsere langjährige Forderung aufgreift, dass Importe von Agrarprodukten dieselben Standards erfüllen müssen wie europäische Erzeugnisse, wenn es um Produktionsbedingungen, Tier- und Umweltschutz geht.  

 

Tiertransporte

NL: Kürzlich gab es im Plenum des Europaparlaments eine mit Spannung erwartete Abstimmung zum Thema Tiertransporte. Wie ist dabei Ihre Position in dieser Frage?

Schmiedtbauer: Es gibt Verfehlungen, die man aufzeigen muss. Es kommt auf die Transportqualität und nicht auf die Dauer an. Wir haben für eine Höchsttransportdauer von Nutztieren, die einer Schlachtung zugeführt werden, von prinzipiell acht Stunden bei ausnahmsloser Einhaltung der hohen EU-Tierwohlstandards gestimmt. Hätten wir dagegen gestimmt, hätten wir es Kollegen in Europa unmöglich gemacht, ihre Tiere zu transportieren. Ich denke zum Beispiel an Bulgarien, wo man ganz andere Straßenverhältnisse und andere Entfernungen hat, oder an die Landwirte in Irland, die den Tiertransport über den Seeweg brauchen, weil sie sonst keine anderen Möglichkeiten haben. Aber wir müssen uns schon die Frage stellen, ob es noch notwendig ist, Schlachttiere in Drittstaaten zu transportieren. Wenn wir der Regionalität und Saisonalität mehr Platz geben würden, würden wir uns viele Diskussionen ersparen.

 

NL: Damit spannen Sie die Brücke zur verpflichtenden EU-weiten Lebensmittel-Herkunftskennzeichnung. Ist das realistisch oder utopisch?

Schmiedtbauer: Ich hoffe nicht, dass das utopisch ist. Der Schlüsselfaktor wird immer der Konsument, die Konsumentin sein. Wir müssen sie schulen, dass sie darauf schauen, von wo das Produkt herkommt. Die Kommission hat angekündigt, diesbezüglich bis Herbst einen Vorschlag zu liefern – für mich persönlich ein Schritt in die richtige Richtung, denn ich fordere schon seit Beginn meines Mandats eine verpflichtende EU-weite Lebensmittelherkunftskennzeichnung.

 

NL:  Was können Sie bezüglich Wolf den Viehbauern sagen, die ihre Rinder und Schafe im Frühjahr wieder auf die Weiden und Almen treiben wollen?

Schmiedtbauer: Das Thema Wolf war eines der ersten Themen, die ich aufbrachte, als ich ins Europäische Parlament gekommen bin. Es muss die Möglichkeit bestehen, Problemwölfe zu entnehmen. Tatsache ist, dass keine Spezies über alle anderen gestellt werden darf. Es ist für uns ganz wichtig, dass die Diskussion nicht in die Richtung führt, dass wir den Wolf ausrotten wollen, denn das entspricht auch nicht der Sachlage. Damit hätten wir verloren, weil uns die, die wir bei den politischen Entscheidungen brauchen, dann nicht mehr zuhören und das Gespräch beenden.  

 

EU-Bio-Aktionsplan

NL: Sie sind Chefverhandlerin des EU-Parlaments für den Forderungskatalog zum EU-Bio-Aktionsplan. Wo liegt in dieser Frage die EU im Vergleich zu Österreich?

Schmiedtbauer: In Österreich haben wir 26 Prozent Bio-Anteil. Europaweit sind es 8,5 Prozent. In zwei Mitgliedsstaaten liegt dieser Anteil bei unter einem Prozent. Bis 2030 soll der Bio-Anteil in der EU auf gut 25 Prozent verdreifacht werden. Aber wie sollen das die Landwirte schaffen? Wenn der Markt nicht mitgedacht wird, haben wir ein Problem bei den Erzeugerpreisen und unsere Bio-Landwirtinnen und -Landwirte schreiben rote Zahlen. Das ist nur kontraproduktiv. Ich finde, dass wir für den Forderungskatalog zum EU-Bio-Aktionsplan ein gutes Konzept erarbeitet haben. Aber ich möchte in meinem Bericht nicht die 25 Prozent stehen haben, weil man damit den Mitgliedsstaaten, die hinterherhinken, die Motivation nimmt. Ich will Best-Practice-Beispiele und dass die Mitgliedsstaaten Zeit haben und den Sektor nachhaltig entwickeln.  

 

NL: Ende November 2021 konnte im Europaparlament nach jahrelangen Verhandlungen die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 abgeschlossen werden. Wie wichtig ist es, dass aktive Bäuerinnen und Bauern in einem solchen Entscheidungsprozess miteingebunden sind?

Schmiedtbauer: Das ist ganz wichtig! Nur zehn EU-Abgeordnete mit mir haben einen aktiven bäuerlichen Hintergrund. Da prallen in den Diskussionen oft zwei verschiedene Welten aufeinander. Wir bräuchten viel mehr Praktiker, die erzählen können, wie es in der Praxis abläuft. Das würde uns das Leben einfacher machen. Und wir bräuchten eine Kommission, die mutig genug ist und Studien und wirtschaftliche Erkenntnisse akzeptiert und respektiert und sich nicht von einem Vizepräsidenten, von NGO`s sowie Tierschutzorganisationen treiben lässt.

Aber auch zu Hause müssen die Landwirtinnen und Landwirte eingebunden werden, beispielsweise über Stakeholder-Dialoge. Die neuen Strategiepläne geben den Ländern mehr Spielraum, aber ohne den Input aus der Praxis verspielt man eine große Chance.

 

NL: Wie leicht oder schwierig ist es, den Menschen hierzulande Entscheidungen näher zu bringen, die in Brüssel gefällt werden?

Schmiedtbauer: Man muss den Menschen erklären, dass es in Brüssel ganz anders abläuft als bei uns im Parlament, wo man einen Koalitionspartner und Oppositionsparteien hat. Wir haben in Brüssel sieben Fraktionen. Bei jedem Thema, das man beginnt zu verhandeln, muss man sich Punkt für Punkt Partner suchen, damit man in der Abstimmung die notwendige Mehrheit erhält. Gleichzeitig müssen wir immer Kompromisse finden, die dann für 27 Länder passen und anwendbar sind. Deswegen dauert der Gesetzgebungsprozess oft lange, auch wenn wir so schnell wie möglich arbeiten. Das muss man erklären.

 

Zur Person

Die Hitzendorfer Bäuerin Simone Schmiedtbauer war die steirische VP-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl 2019. Mit einem fulminanten Vorzugsstimmenergebnis schaffte sie den Einzug ins EU-Parlament. Schmiedtbauer ist verheiratet, Mutter von zwei Töchtern, war Bürgermeisterin und ist im Bauernbund Bezirksobfrau sowie Landesobmann-Stellvertreterin.

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