Tim Lüking, Professor am Institut für Architektur und Management an der FH Joanneum zum Familienbetrieb im 21. Jahrhundert.
NL: Sie beschäftigen sich im Zuge eines Forschungsprojekts mit dem Strukturwandel in der Landwirtschaft. Was genau wird dabei gemacht?
Tim Lüking: Unter dem Titel „Bauernhof 21“ soll die Rolle von bäuerlichen Familienbetrieben in einer sich stark ändernden, modernen Zeit beleuchtet werden. Dabei sind uns viele verschiedene Blickwinkel wie Architektur, Biowissenschaften, Sozialwissenschaften oder Nachhaltigkeitsforschung wichtig. Der bisherige Höhepunkt war die kürzlich abgeschlossene „Winter School“. In dieser Projektwoche widmeten sich Studenten aus unterschiedlichen Fachrichtungen, sowie Praktiker aus der Landwirtschaft, gemeinsam diesem Thema. So entstand für drei Pilotbauernhöfe eine Vielzahl von praxistauglichen Vorschlägen für die Zukunft des jeweiligen Betriebs.
NL: Können Sie konkrete Beispiele für einen zukunftsfähigen Betrieb nennen?
Lüking: Allgemein betrachtet wird ein solcher Bauernhof, mit oft weniger als fünf Hektar Nutzfläche, meist als klassischer Mischbetrieb mit Direktvermarktung geführt. Dabei zeigte sich in der Projektwoche, dass für einen solchen Hof eine Schwerpunktsparte mit Verarbeitungsprodukten daraus besonders wichtig ist. Beispiele dafür waren die Anzucht von Jungpflanzen, der Anbau und die Veredelung von Kastanienprodukten oder das Herstellen von Backwaren. Mit weiteren Produkten sollte das Angebot mit möglichst wenig Aufwand erhöht werden. Eine einfache „Stärken-Schwächen-Analyse“ kann für jeden Betrieb je nach Lage des Hofes und den Vorlieben der Bewirtschafter tolle Einsichten bringen.
NL: Und welche Rolle spielt dabei die Architektur?
Lüking: Gerade bei Bauernhöfen ist die Architektur besonders vielschichtig, wobei immer klare, ruhige und dem Ortsbild angepasste Strukturen im Vordergrund stehen sollten. Wir sprechen in diesem Kontext immer von „Transformation der Tradition“ in die Moderne. Es geht darum Formen und Eigenschaften von Gebäuden zu definieren, deren Proportionen und Zwischenräume zu optimieren. Die Schlüsselstelle ist oft das Schaffen von definierten Plätzen für Rückzug und Gemeinsamkeit. Bei einem Betrieb mit drei Generationen am Hof konnten wir sehr gute architektonische Beiträge zu einer geplanten Umgestaltung einbringen. Bei einem anderen Betrieb konnten die Teilnehmer mehr ins Detail gehen und sogar den Wohnhausausbau planen.
NL: Werden die Betriebe einige dieser Ideen auch in die Praxis umsetzen?
Lüking: Davon gehe ich sehr stark aus, da wir sehr positive Rückmeldungen bekommen haben. Ein Problem dabei können jedoch die unterschiedlichen Vorstellungen und Bedürfnisse der am Hof lebenden Personen sein. Für einen Betrieb wurde beispielsweise sogar ein Energiekonzept erstellt. Dabei stellte sich heraus, dass eine 20kW-Photvoltaikanlage ab dem vierten Jahr bereits mehr Geld einbringt, als die kleine, verbliebene Betriebsparte Milchwirtschaft. Das Loslassen von alten und lieb gewonnenen Strukturen ist hier sicher eine gewaltige Herausforderung für viele.
NL: Werden einige dieser Ideen auch für andere interessierte Betriebe zu Verfügung stehen?
Lüking: Wir werden die zusammengefassten Ergebnisse in Form einer Publikation zu Verfügung stellen. Natürlich wird nicht alles auf andere Höfe übertragbar sein, eine Inspirationsquelle wird es aber sicher für viele kleinstrukturierte Betriebe sein.
Zur Person:
Tim Lüking ist gelernter Zimmerer und studierte Architektur in Weimar, Deutschland. Er unterrichtet seit 2014 am Institut für Architektur und Management an der FH Joanneum. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen im Umbau und der Umgestaltung bestehender Bausubstanz mit Fokus im ländlichen Raum.