Wahrscheinlich erinnert sich die eine oder der andere noch an den letzten Absatz der Zeitdiagnose zu Politik, Sport und die Olympischen Spiele vor rund einem Monat. Wenige Tage vor Beginn der Spiele wurde die Frage aufgeworfen, wer am Ende der beiden verbliebenen politischen und ökonomischen Supermächte, die USA oder China, im Medaillenspiegel ganz oben stehen wird. Und dann hat es die USA in diesem spannenden Duell tatsächlich erst im allerletzten Bewerb, dem Finale im Frauenbasketball, geschafft, mit der 40. Goldmedaille mit China gleichzuziehen und dank der größeren Zahl an „Silber“ und „Bronze“ noch den ersten Platz zu erringen. Japan blieb als Dritter in dieser Rangliste mit 20-mal Gold schon weit abgeschlagen.
Keine Sorge, es geht nicht wieder um Sport – oder zumindest nur am Rande und insofern, dass sportliche Erfolge ein bemerkenswert verlässlicher Gradmesser für die ökonomische Kraft eines Landes sind. Die zehn im Medaillenspiegel an vorderster Stelle stehenden Nationen gehören allesamt zu den 20 Ländern mit der im Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausgewiesenen stärksten Wirtschaftskraft, sieben davon sind unter den Top-Ten.
In der folgenden Aufstellung des Medaillenspiegels steht die Zahl in der Klammer für den jeweiligen Rang im globalen Wirtschaftsranking:
- USA (1)
- China (2)
- Japan (4)
- Australien (13)
- Frankreich (7)
- Niederlande (17)
- Großbritannien (6)
- Südkorea (14)
- Italien (8)
- Deutschland (3)
Was darüber hinaus in einer größeren Betrachtung dieser beiden Parameter auffällt, ist, dass die Wirtschaftsgroßmacht Indien – Fünfter beim BIP – als einzige Nation bei den Olympischen Spielen unter „ferner liefen“ geblieben ist und Deutschland – zumindest sportlich – nicht mehr ganz vorne mitspielt. Das allerdings korrespondiert wiederum mit dem Abstieg unseres „Lieblingsnachbarn“ innerhalb der EU von der „Lokomotive“ zum „Nachzügler“ in den letzten Jahren. Für Österreich ist dies wahrscheinlich die noch viel schlechtere Nachricht als das vergleichsweise bescheidene Abschneiden der Sportlerinnen und Sportler bei den olympischen Wettkämpfen. Denn die deutsche Wirtschaft ist bekanntlich der wirkmächtigste externe Einflussfaktor auf Österreichs Wohlstand.
Wirtschaft schafft Wohlstand
Bäuerlich geprägte Menschen haben es in ihren Genen: Wer ernten oder mästen will, muss zuvor säen und seine Ställe mit viel Fleiß und Wissen bewirtschaften. Die Idee, dass andere für sie arbeiten, ist ihnen fremd. Daher ist der Vorschlag von LK-Präsident Josef Moosbrugger, von Touristen in den Bergregionen, sprich „Kulturlandschaftsnutzern“, einen „Übernachtungseuro“ einzuheben, großartig. Gar nicht so sehr wegen des Geldes, sondern weil hier wesentliche Bewusstseinsarbeit damit verbunden werden kann. Hier würde Geld als Entgelt für eine klar nachvollziehbare Leistung und nicht als sozialpolitisch interpretierte Umverteilung fließen.
Der US-amerikanische Präsident Bill Clinton hat wiederholt betont: „It’s the economy, stupid!“ Frei übersetzt: Nur ein Dummkopf versteht nicht, dass Wirtschaften die Voraussetzung für alles weitere politische Handeln ist. Wer intellektuell inzwischen nicht völlig dem Vulgär-Sozialismus verfallen ist, wird hier nur schwer dagegen etwas vorbringen können. Weder eine engagierte Sozialpolitik noch eine noch so gut gemeinte Ökopolitik wird auf Dauer ohne die zuvor erwirtschafteten Mittel auskommen. Es gibt in der gesamten Geschichte der Volkswirtschaft kein einziges Beispiel dafür, dass die Armen reicher geworden wären, bloß weil man die Wohlhabenden – in welcher Weise auch immer – enteignet hat.
Natürlich sind Diktaturen wie Venezuela oder China kein Vorbild. Doch rein ökonomisch betrachtet, brachte das stramm sozialistische Wirtschaften von Hugo Chavez und Nicolás Maduro in einer der weltweit ressourcenreichsten Nationen Armut für beinahe alle, während der chinesische Weg einer zumindest begrenzt marktwirtschaftlichen Orientierung immerhin Millionen Menschen von der Armut in eine Art Mittelstand geführt hat. Aber wir alle sind mit gutem Grund glücklich und zufrieden, Europäer zu sein. Demokratie, Rechtstaatlichkeit, eine trotz aller oft hysterischen Gegenstimmen lebenswerte Umwelt, Wohlstand und soziale Sicherheit ermöglichen ein gutes Leben.
Dunkle Wolken
Doch dieser starke Wirtschafts- und Sozialraum verliert im globalen Wettbewerb zunehmend an Bedeutung, als Produktionsmarkt ebenso wie als Absatzmarkt. Die europäische Industrie klagt zurecht, dass sowohl die Konkurrenz in den sogenannten Schwellenländern, aber auch in hochentwickelten Industrieländern außerhalb Europas – Nordamerika, Südostasien – ungleich bessere Wettbewerbsbedingungen vorfindet. Gerade hier wäre die EU gefordert, als geeinte Wirtschaftsregion gegenzusteuern. An keinem anderen Ort der Welt wird mit den Gewinnen der Wirtschaft so viel Sozialpolitik und so wenig Innovations- und Investitionspolitik finanziert wie in der EU. Ob man das gut oder schlecht findet, ist nicht nur eine politische Ansichtssache.
Niemand wird bestreiten wollen, dass der Sozialstaat europäischer Prägung eine große Errungenschaft darstellt. Wer allerdings meint, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung in Europa – Stichwort: Überalterung – und einer exzessiven Zuwanderung in unsere Sozialsysteme ohne entsprechende Gegenleistungen ewig so weitermachen können, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Es ist ja nicht so, dass, global gesehen, unser westliches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem generell ins Hintertreffen gerät. Die USA oder auch Australien sind insbesondere dank einer klugen Einwanderungspolitik nach wie vor ökonomisch gut aufgestellt, die EU dagegen wird sukzessive abgehängt.
Das lässt sich auch mit Zahlen gut belegen, wenn wir die EU-27 mit den sogenannten BRICS-Staaten, den bevölkerungsreichen, wachstumsorientierten Ländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, vergleichen. 1980 betrug der Anteil der 27 Länder, die heute zur EU gehören, am globalen Bruttoinlandsprodukt 25,84 Prozent, jener der BRICS-Staaten (noch ohne Russland) 10,64 Prozent. Als nach dem Zerfall der Sowjetunion 1995 auch die russische Wirtschaftskraft mitberechnet wurde, waren es bei den BRICS-Staaten17,18 Prozent, bei der EU nur mehr 21,05 Prozent. Ohne hier noch weitere Zahlen zu strapazieren, seit 1980 verliert die europäische Wirtschaft sukzessive Anteile im globalen Wettbewerb. 2020 waren die BRICS-Staaten bereits rund doppelt so leistungsstark, die Prognosen für 2029 gehen von 34,1 Prozent gegenüber 13,2 Prozent zu Ungunsten der EU aus.
Natürlich können wir einen Gutteil dieser Zahlen vor allem mit den unterschiedlichen Entwicklungen beim Bevölkerungswachstum erklären. Pro Kopf gerechnet ist die EU den BRICS-Staaten unverändert voraus. Aber wo die Pfeile nach oben und wo nach unten zeigen, ist dennoch offensichtlich.
Weitere Parameter geben Anlass zur Sorge. Im globalen Wettbewerb stehen wir heute dort, wo wir bereits am Ende des „Kalten Krieges“ waren. Zwei Supermächte dominieren die Weltwirtschaft; das sind die USA und China, das inzwischen die Rolle der Sowjetunion übernommen hat. Die Hoffnungen Europas, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Erweiterung der EU als Großmacht global ganz vorne mitzuspielen, haben sich nicht erfüllt. Ernüchternd ist auch ein Blick auf die aktuelle politische Weltkarte, wenn es um die Sanktionen gegen Russland geht. Putin und seine Ökonomen mussten sich zwar bei den Exporten bei den Zielländern tiefgreifend neu orientieren, doch die Träume Brüssels, Russland wirtschaftlich nachhaltig so sehr zu schwächen, um sie zum Abzug aus der Ukraine zu bewegen, haben sich längst in Luft aufgelöst. Die nun ständig zunehmende militärische Unterstützung Selenskis ist ja ein unfreiwilliges Eingeständnis des Westens, dass die wirtschaftliche Karte nicht gestochen hat. Und rein ökonomisch betrachtet, – Deutschland diskutiert darüber bereits heftig – fehlen die dafür aufzubringenden Mittel längst der eigenen Wirtschaft.
Europas Niedergang?
Die Weltgeschichte ist voll von Aufsteigern und Niedergängen. Europa und der Westen als global führende Zivilisation sind nicht in Stein gemeißelt. Ob diese Führung seit dem 16. oder seit dem 18. Jahrhundert besteht, darüber mögen sich auch weiterhin Historiker streiten. Es gibt für beide Annahmen gute Argumente. Aber wir können in den Geschichtsbüchern viel von oft auch sehr rasch eintretenden Einstürzen hegemonialer Führungsmächte lesen: Rom am Ende der Antike, China in der Ming-Dynastie, die muslimische Welt im ausgehenden Mittelalter, selbst das Ende der Sowjetunion war letztlich ein Ereignis weniger Jahre. Droht Europa ein ähnliches Schicksal?
Peter Heather und John Rapley, zwei US-amerikanische Wissenschaftler und Publizisten, haben erst vor kurzem „stürzende Imperien“ wie das antike „Römische Reich“ mit dem Zustand des „Westens“ heute verglichen und dabei zwei bedenkenswerte Parallelen beschrieben: Roms Untergang war unter anderem einer Entwicklung geschuldet, die zum einen zunehmend die Produktion benötigter Güter an die Peripherie und darüber hinaus ausgelagert hat und zum anderen hat das Erstarken einer mit der müde gewordenen römischen Zivilisation kaum zu vereinbarenden neuen Religion, dem Christentum, das Imperium massiv überfordert.
Geht es uns mit dem Konsum von Produkten aus Billiglohnländern und einer immer stärker werdenden islamischen Parallelgesellschaft nicht ebenso?
Erschienen im Rahmen der Serie „ZEITDIAGNOSEN” von Hans Putzer.