Eine versunkene Welt: Das alte Bauerntheater

von Karl Brodschneider

Zeitgeschichtliche Betrachtung von Herbert Blatnik: Vor zwei Generationen gab es noch das urwüchsige Bauerntheater.  

 

Das Passionsspiel von Leiden Jesu Christi wurde seit dem Mittelalter in vielen Orten der Steiermark von Laienbühnen aufgeführt. Jahrhundertealte im lokalen Dialekt abgefasste Textblätter weisen auf bäuerliche Akteure hin.[1] Daneben kam es zu Aufführungen, die ausdrucksvolle Szenen aus dem Alten beziehungsweise Neuen Testament zum Inhalt hatten, wie das „Paradeisspiel“ von der Geburt der Eva und dem Sündenfall mit der Vertreibung aus dem Paradies, ein „Magdalenenspiel“, „Das Spiel vom reichen Mann und dem armen Lazarus“, Krippenspiele etc.

Als Kerngebiete des alten Bauerntheaters galten einst das obere Murtal und die Region zwischen Steinberg und dem Kainachtal[2], wo vor allem biblische Motive mit großem Aufwand szenisch erarbeitet wurden. Allmählich drohten die alten Bauernbühnen abzukommen, und in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1908 heißt es, dass das Radegunder Bauerntheater im Norden von Graz als das „derzeit einzige steirische Bauerntheater in vollen Ehren“ gilt.[3]

Nach dem Ersten Weltkrieg ging es jedoch wieder aufwärts. Von 1933 bis 1937 förderte die christlich orientierte Einheitspartei Vaterländische Front derartige Aufführungen. Zur NS-Zeit von 1938 bis 1945 konnte man das Passionsspiel in der Steiermark nur noch im Sommer 1938 im Freilichttheater von St. Lorenzen ob Murau erleben, dann war Schluss.[4] Weniger auf Grund der Abneigung der NS-Behörden gegenüber dem religiösen Schauspiel, sondern wegen des Mangels an männlichen Darstellern, die zum Reichsarbeitsdienst oder Militär eingerückt waren.

Neben aufwändigen Bühnenstücken, die bis zu 100 Schauspieler und Statisten auf die Bühne brachten, wurden überall in der Steiermark leicht einzustudierende Stücke aufgeführt, vor allem wenn es galt, etwas für die Feuerwehr oder für die Dorfkirche anzuschaffen. Am besten dazu geeignet erschien das Apostelspiel von Max Mell, das nur vier Akteure brauchte, ein Bauernmädchen, einen Großvater und zwei Halunken.

Das Mädchen Magdalene

Der Inhalt ist gleichsam zeitlos wie märchenhaft. Der Ort der Handlung ist eine einsam gelegene Keusche. Seine Bewohner sind ein etwa 16-jähriges Mädchen und sein Großvater. Das Mädchen Magdalene liest oft in der Bibel und sein größter Wunsch ist, einmal mit einem der zwölf Apostel zusammenzukommen. An einem Winterabend erscheinen dort zwei Landstreicher, welche die beiden ausrauben und ermorden wollen. Nachdem die beiden Männer in das Haus eingetreten und um Essen und ein Nachtquartier gebeten haben, geben sie sich als Petrus und Johannes aus.

Magdalene hält nun die beiden für die biblischen Apostel und ist begeistert, zwei der Jünger Jesu kennenzulernen. Sie befragt die vermeintlichen Apostel nach ihrem Leben an der Seite des Heilands. Bibelfest wie sie ist, treibt sie mit ihren Fragen die Gauner immer mehr in die Enge. Ihre tiefe, rührende Gläubigkeit macht einen derart starken Eindruck auf die Strolche, dass sie an ihr verbrecherisches Vorhaben gar nicht mehr denken und erschüttert die Keusche verlassen.

In vielen Aufführungen wie in „Adams Tod“ und beim „Nikolospiel“ trat am Schluss der Tod auf und stieß dem Hauptdarsteller einen Pfeil in den Rücken, dass er „tot“ hinfiel.[5] Mitunter gab es dazu einen Totentanz mit schaurigem Gesang. Diese Szenen sollen für die Besucher so furchterregend gewesen sein, dass der Pfarrer eine zweite Aufführung verbat.

Admonter Tischgesellschaft

Eine der besten weltlichen Bauernspiele soll die Admonter Tischgesellschaft (großes Bild) im Herbst 1908 aufgeführt haben. Die Admonter Trachtengruppe, wie man sie auch nannte, wollte zum 60-Jahr-Regierungsjubiläum des Kaisers Franz Joseph ihre Treue zum Kaiserhaus bekunden und studierte das Volksstück „Der durchlauchtigste Erzherzog Johann und seine Anna“ ein. Obmann Engelbert Fankhauser soll an die 30 Darsteller aufgeboten haben, von denen etwa zwei Drittel aus dem Bauerntum stammten.

In einer Szene besuchte der Erzherzog seinen Bruder Kaiser Franz in Wien, um des Kaisers Einwilligung zu seiner Vermählung mit Anna einzuholen. Die Besucher waren überrascht, anstatt des Ennstaler Dialekts plötzlich bestes höfisches Hochdeutsch zu hören. Ein pensionierter k. u. k. Offizier half Fankhauser bei der Erstellung des Textes. Eine andere Überraschung gab es in einer Szene, in der verkrüppelte Veteranen aus dem napoleonischen Krieg von 1809 dem Erzherzog ihr Leid klagen sollten. Dabei kamen tatsächlich sieben Versehrte in zerschlissenen Uniformen auf die Bühne, davon zwei Blinde, drei Einbeinige und zwei Einarmige. Sie waren dem Publikum als Versehrte aus Admont und den Nachbarorten bekannt. Leider wurde das großartige Stück nur einmal aufgeführt.[6]

Historiker Professor Walter Stipperger wies auf verschiedene Formen des Ennstaler Stegreiftheaters hin. Die ländliche Bevölkerung soll es einst meisterhaft verstanden haben, alltägliche Situationen spontan theatralisch zu verwerten.[7] So war in der Umgebung von Gröbming jedes „Maibaumumlegen“ ein Erlebnis. Vier stilecht gekleidete Personen traten dabei auf: ein Förster, ein Bauer, ein Holzknecht und ein Jude. Der Jude wollte den Baum kaufen, der Förster hatte den Wert zu schätzen und der Bauer und der Knecht trieben den Preis aus verschiedenen Gründen in die Höhe.

Wie viele bäuerliche Bräuche verschwand allmählich das volkskundlich wertvolle Bauerntheater. Andererseits bemühen sich seit einigen Jahrzehnten steirische Theatergruppen um die Aufführung von Passions- und Krippenspielen, wie die ehrenamtlich besetzte Schauspielgruppe Feldkirchen und die „Lebenswelten der Barmherzigen Brüder“ in Kainbach bei Graz. Ihnen ist zu verdanken, dass eine traditionelle Form des Laientheaters nicht ganz in Vergessenheit gerät.

 

Foto: Sammlung Gertraud Haisl, Graz

 

[1] Karl Reiterer, „Volkskomödianten“. In: Waldbauernblut, Volksbilder aus der Stmk., Leoben 1910.
[2] Leopold Kretzenbacher, Leben und Geschichte des Volksschauspiels in der Stmk., Graz 1992, S. 3. und S. 70.
[3] Grazer Volksblatt, 21. 4. 1908, „Radegunder Bauerntheater“.
[4] Grazer Volksblatt, 17. 7. 1938, „Passionsspiele in St. Lorenzen ob Murau“.
[5] Tagespost, 18. 12. 1896, „Volkskomödianten“.
[6] Karl Reiterer, Rezension „Theater der Admonter Tischgesellschaft“, Sammlung Gertrud Haisl, Graz.
[7] Walter Stipperger, „Brauchtum im Gebiet Gröbming. Aus den heimatkundlichen Aufzeichnungen Friedrich Pribitzers“, Kopie im Besitz des Autors.

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