Steirische Originale oder Aufstieg und Fall des armen und reichen Mannes

von Karl Brodschneider

Vier Porträts von Steirern, die vor über 100 Jahren in ihrer Heimat sehr bekannt waren. Zusammengesucht wurden diese ganz besonderen Lebensgeschichten von Herbert Blatnik aus Eibiswald.

 

Der Bauernwirt vom Sausal

Im Sausal, unweit des Harracher Schlössels und an der Bergstraße zum Demmerkogel gelegen, hatte ein Bauer um das Jahr 1890 erkannt, dass man mit dem Ausschank von Wein und Most weit mehr Geld verdienen konnte als mit dem Verkauf von Holz und Korn. So wurde aus dem „Joslbauern“, wie er im Volk hieß, allmählich der „Joslwirt“ und allmählich der „Bauernwirt“, wie sich auch sein Gasthaus nannte.[1]

Eigentlich war das gar kein Gasthaus, wie wir es kennen. Es war eher eine niedere Keusche, bestehend aus zwei Räumen, eben der Gaststube und der Küche. Wer einmal dort eingekehrt war, konnte etwas erzählen. Gäste, die schon wussten, was kommen würde, bestellten etwas zu essen. Der Wirt rief dann laut in Richtung Küche: „Alte, hast was zum Essen?“ Darauf eilte seine Frau, die Köchin, in das Gastzimmer und zählte auf: Klachelsuppe, Heidensterz, verschiedene Strudel, Poganzen usw.. Das waren alles traditionelle Gerichte.

Der originelle Wirt und die vorzügliche Küche avancierten rasch zu einem beliebten Ausflugsgasthaus, nicht unbedingt zur Freude der renommierten Gasthöfe von St. Nikolai und Wettmannstätten. Daher warteten sie nur noch auf eine Gelegenheit, ihren erfolgreichen Konkurrenten anschwärzen zu können, weil das Gerücht umging, beim „Bauernwirt“ gäbe es auch das verbotene Kartenspiel „Die Rot gewinnt“.

Schließlich ergab sich eine völlig andere Gelegenheit. Der Wirt bot nämlich betrunkenen Gästen an, sie mit seinem Steirerwagerl nachhause zu führen, wenn sie nicht mehr gehfähig waren. Das war illegal. Dazu hätte er eine eigene Konzession gebraucht. Die erhoffte Gerichtsverhandlung fand aber nicht statt, er wurde nur verwarnt.

Was nun folgte, machte ihn noch „berühmter“. Um Gäste, insbesondere die zahlungskräftigen Predinger Bürger, nach der Sperrstunde nicht in die kalte Nacht schicken zu müssen, erwarb er das Beherbergungsrecht. Wer in der Gaststube übernachten wollte, bekam einige Schaffelle und konnte sich damit auf den Boden legen. Es soll manchmal vorgekommen sein, dass der ganze Boden „belegt“ war.

Diese urwüchsige Gasthausidylle währte leider nicht lange. Der Wirt musste 1916 in sein Landwehrregiment einrücken und fiel bald darauf an der Italienfront. Das Gasthaus wurde verpachtet, kam immer mehr herunter und wurde wieder das, was es einmal war: eine armselige Keusche.

 

 

Ein Rossknecht mit sagenhaftem Gedächtnis

Im Herbst 1886 wurde der Junglehrer Karl Reiterer wurde wegen einer peinlichen Affäre mit einer verheirateten Frau von Rassach bei Stainz nach Donnersbachwald „strafversetzt“. Hier lernte er auf einer Wanderung den betagten Rossknecht Vinzenz Rudorfer vom Hof „Beinstock“ kennen. Irgendwie kamen sie auf das Eisenwerk in Donnersbach zu sprechen. Reiterer erinnerte sich: „Der Knecht meinte, diesem Werk in Wehmut nachzutrauern zu müssen. Hatte es doch den Waldbauern vom Donnersbachtal einen Wohlstand gebracht, wie man sich das kaum mehr vorstellen kann. In den Wäldern rauchten Dutzende Kohlenmeiler Tag und Nacht. Fast jeder Bauer hielt sich einige Köhler und Fuhrleute, die in großen Korbwägen die Holzkohle zum Werk brachten. Am Karfreitag 1868 war es für immer stillgelegt worden, weil es unrentabel war. Argwöhnisch fragte ich, warum er das so genau wisse. Warum? Weil er an diesem Tag als Elfjähriger mit seinem Vater die Messe in Donnersbach besuchte und danach in einem Gasthaus hörte, was die abgestifteten Werksarbeiter seinem Vater erzählten.

Und er holte weiter aus. Das Jahr 1868 war eben ein Unglücksjahr, denn einem Nachbarn des „Beinstock“ brannte im März der Heustadel ab. Eine Magd ertrank im Juni beim Wäscheschwemmen in der Enns. Ein Hochwasser demolierte im August eine Ennsbrücke usw. Minutenlang zählte er auf, was sich 1868 an Unglücksfällen ereignet hatte.

Beim „Stögerwirt“ [wo Reiterer wohnte] kannten alle den Knecht. Unglaubliche Geschichten erzählte man sich von diesem Mann, der sich ein Gesicht so einprägen konnte, dass er es nach Jahrzehnten wiedererkannte. Es soll sich zutragen haben, dass er auf einem Jahrmarkt jemand mit seinem Namen grüßte. Auf die Frage, woher er ihn kenne, soll er geantwortet haben: ‚Du bist ja ein Mörschbauernsohn. Wir haben gemeinsam einen Tag lang Vieh für deinen Vater gehalten. Du warst sechs Jahre alt, ich war ein Jahr älter‘. Das war immerhin vor über 40 Jahren.

Noch einmal war es mir vergönnt, den „Beinstock-Zenz“, wie er insgemein hieß, zu treffen, und zwar in einem Zugabteil auf der Fahrt nach Gröbming. Von den etwa 20 Fahrgästen wusste er von den meisten, wie sie hießen und wo sie wohnten. Vier junge Männer, die er für Holzknechte hielt, kannte er nicht. Warum er glaubte, dass sie Holzknechte seien? Er entgegnete: ‚Schauen sie sich ihre Pratzen an, solche haben nur Holzknechte‘.

 

 

Der Bauer und der Bettler

Alexander Haas

Alexander Haas war auch Gründungsmitglied des Bauernbundes im Jahr 1899.

Anfang April 1928 erschienen in den steirischen Tageszeitungen Nachrufe auf den Bauern Alexander Haas „Voitlsteffl“ von der Hohen Rannach bei Graz. Er soll nicht nur ein Gründungsmitglied des ersten Steirischen Bauernbundes 1899 und Gründungsobmann der Raiffeisenkasse Graz-Andritz, sondern auch ein außergewöhnlich begabter Dichter und ein wunderbarer Mensch gewesen sein. In der weiteren Umgebung fand kaum eine Hochzeit ohne ihn statt, weil er stets gebeten wurde, bei der Festtafel lustige Gedichte auf das Brautpaar vorzutragen. Trotz härtester Schicksalsschläge trat er stets fröhlich auf. Als im August 1892 sein ganzer Hof abbrannte, Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude mit acht Rindern, näherte sich wenig später ein Bettler der Brandstatt.

Weil er noch ein wenig Rauch sah, wandte er sich um und wollte weglaufen, wohl in der Sorge, man könnte ihn für einen Brandstifter halten. Herr Haas saß gerade etwas abseits und jausnete. Er rief dem Bettler zu, nicht wegzulaufen. Er gab ihm einen Teil seiner Jause, obwohl er wusste, dass für ihn und seine Familie nun eine schwere Zeit anbrechen würde.[1]

Sein letztes Gedicht „Der Birnbaum“ erschien in mehreren Zeitungen (daraus drei Strophen): „Nicht weit vom Haus, knapp am Wege,/ wo man nach Hochrannach geht,/ hoch und stark, wie ein Riese,/ ein alter, alter Birnbaum steht./ Früchte hat er lang getragen,/ wohl über zweihundert Jahr,/ vielen Stürmen widerstanden,/ auch so mancher Blitzgefahr./ Oft hat er den Blitz gefangen,/ und dadurch geschützt das Haus,/ hat so manchen Riss empfangen,/ doch er machte sich nichts draus…“

 

 

Ein Keuschler als Schwindler

Wie war es möglich, dass ein Keuschler einen reichen Marktbürger in den Ruin treiben konnte? Immerhin geschah das zur Gründerzeit in Eibiswald. Eine Chronik berichtet: „Im Jahr 1879 errichtete der vermögende Brauereibesitzer Ferdinand Wolfbauer am Eibiswalder Rabenfeld eine Schachtanlage zur Ausbeutung eines vermuteten Kohlenflözes. Als Maschinenhaus, Kanzlei, Sortieranlage etc. fertig waren, stellte sich heraus, dass die Kohle in unerreichbarer Tiefe lag.“[2] Dieses „Kohlenabenteuer“ kostete den Brauherren Wolfbauer ein Vermögen. Er war, wie man sagte, „fertig“, und im April 1883 kamen seine Realtäten zur Versteigerung.

Ferdinand Wolfbauer

Der Brauereibesitzer Ferdinand Wolfbauer erlitt in Eibiswald ein finanzielles Fiasko.

Die Vorgeschichte reichte bis in das Jahr 1873 zurück, als es zum ersten Börsenkrach mit anschließender Inflation in Österreich kam, die auch dem Bürgertum in den steirischen Märkten und Städten zu schaffen machte. Wer konnte, legte das Geld in Realitäten an. Im Eibiswalder Kohlenrevier gab es die Gelegenheit, Freischürfe zu eröffnen und die Kohle dem Stahlwerk zu verkaufen. Diesen Plan hatte auch Wolfbauer. Er beauftragte Prospektoren, auf seinen Wiesengründen am Rande des Rabenfeldes nach Kohle zu schürfen. Sie wurden fündig, warnten jedoch: die Kohle trete erst in großer Tiefe auf und sei nur mit großem Aufwand abzuteufen.

1879 begannen die ersten Grabungsarbeiten, zugleich wurde ein stattliches Schachtgebäude mit Maschinenraum errichtet. Bei der Auswahl der „Kohlgraber“ hatte er leider, wie sich später herausstellte, kein Glück. Die Berghauptmannschaft in Graz schrieb ihm vor, wie viele Häuer, Förderer etc. er brauchte, um an die Kohle zu kommen. Schwierig war es, erfahrene Bergarbeiter zu bekommen. Er warb sie mit doppeltem Lohn vom nahegelegenen Hermaschacht in Feisternitz ab.

Einem Arbeiter, der in St. Ulrich in der Greith beheimatet war und als erfahrender Bergmann galt, übertrug er die Aufsicht. Die Arbeiten liefen gut an, das Gesenk wurde in Richtung Nordosten vorgetrieben. Großer Jubel nach etwa drei Wochen: Man stieß auf die erste Kohle. Wolfbauer ließ sie untersuchen, sie war beste Glanzkohle. Den Arbeitern, die inzwischen auf zirka 40 Mann angewachsen waren, spendierte er eine Feier mit Wolfbauer-Bier im Schachtgebäude. Doch schon ein paar Tage danach kam die Ernüchterung: Das Flöz, offensichtlich nur ein Seitenarm des ergiebigen Hörmsdorfer Flözes, war zu wenig mächtig und nicht abbauwürdig. Die Grabungen gingen weiter.

Es verging Woche um Woche, ohne dass sich ein Erfolg einstellte. Eines Tages deutete Wolfbauer an, das Werk einstellen zu müssen. Den Vorarbeiter beschuldigte er vor versammelter Belegschaft, in die falsche Richtung graben zu lassen. Derart gekränkt hielt dieser bei der nächsten Gelegenheit unter Tag eine geheime Versammlung ab. Es gäbe nur eine Möglichkeit, weiterarbeiten und gut verdienen zu können – der Gewerke will Kohle sehen. Sein Plan: Jeder Arbeiter müsse in seinem Jausenrucksack Kohle mitbringen, am besten die gute Feisternitzer Kohle.

Als genug zustande gekommen war, einen Förderkorb zu füllen, rief man den Brauherren und zeigte ihm „stolz“ die Kohle. Der Vortrieb ging weiter, der Schwindel auch, angeblich fast ein halbes Jahr. Unweigerlich kam der Tag, an dem Wolfbauer die Arbeiter nicht mehr bezahlen konnte. Sie verließen das Werk und wechselten zum neu eröffneten Lauraschacht.

Noch vor dem Konkursverfahren erfuhr Wolfbauer, wie man ihn reingelegt hatte und zeigte die Sache an. Relativ rasch konnte die Gendarmerie die Schuldfrage klären. Doch Wolfbauer war gebrochen, an einer Gerichtsverhandlung war er nicht mehr interessiert.[3]

Beitragsfotos: Fürbass, Sammlung Blatnik, privat

 

 

[1] Sammlung Josef Friedrich, Preding, Manuskript „Sausal“. Der Raika-Direktor arbeitete an einer Chronik von Preding, die leider nie fertig wurde.
[1] Sammlung Dr. Robert Hesse, Semriach, Sammlung „Grazer Bergland“.
[2] Rudolf Schneebacher, „Finanzielle Krise und Behebung“. In: Hans Kloepfer, Eibiswalder Chronik 1967, Anhang, S. 21.
[3] Nachforschungen durch OAR. Rudolf Schneebacher, Eibiswald.

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