Es war das stärkste je beobachtete Polarlicht, das am 25. Jänner 1938 über weite Teile Europas schwebte. Herbert Blatnik ist diesem Naturphänomen nachgegangen.
Das Jahr 1938 begann mit einer unheimlichen Naturerscheinung. Am Abend des 25. Jänner traten die Menschen aus ganz Europa aufgeregt vor ihre Häuser. Sie beobachteten ein Polarlicht in nordwestlicher Richtung, Tausende Quadratkilometer groß, das sich über den Bergen ausbreitete. Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Polarlicht bis nach Frankreich und Italien erstreckte, doch war diesmal die Intensität einzigartig und furchteinflößend. Die frühesten Berichte über Polarlichter stammen aus dem Spätmittelalter. Allerdings wusste man damals noch keine Erklärungen dafür. 1839 glaubte ein Wissenschaftler, das verschiedenfärbige Licht käme durch eine Entzündung von brennbaren Gasen in der Atmosphäre zustande.[1]
Nordlicht in Graz 1804
Die Grazer konnten im Jänner 1804 für eine Stunde vor Mitternacht ein kurz aufflackerndes lilafarbenes bis violettes Licht über dem Plabutsch beobachten. Tiere sollen sich dabei merkwürdig verhalten haben, im Haus eingesperrte Hunde, die das Licht gar nicht sehen konnten, sollen laut gewinselt haben. Im Oktober 1870 bemerkten die Bergbauern auf der Pack spätabends „ein brillantes Nordlicht, das in lieblicher Röte über der Hohen Veitsch hervorkam und sich über die Gleinalpe bis nach Ligist erstreckte, mit Strahlen, wie Blitze ohne Donner.“[2] Die Bauern vermuteten damals ein weit entferntes Schadenfeuer.
Wie auch bei anderen Naturphänomenen, die man sich nicht erklären konnte, sah man in einem Nordlicht die Warnung vor einem Krieg. Dazu ein Zeitzeugenbericht aus dem oberen Murtal: „Die Zeitungen mögen die auffällige Schönheit eines Polarlichtes rühmen, […] dem gemeinen Volk ist anders zumute. Was kann dies nur bedeuten? Einen blutigen Krieg, eine Hungersnot, etwa der mehrmals vorhergesagte Weltuntergang? Falsche Propheten sind ja schon zur Stelle, machen mit abergläubischen Familien gute Geschäfte, indem sie ihnen gegen bare Münze verraten, wie man dem Weltgericht entkommt.“[3]
Zwei Generationen danach lang blieb es am Nachthimmel ruhig. Bis zum 25. Jänner 1938, als das stärkste je beobachtete Polarlicht über Europe schwebte. Eine Zeitung berichtete über eine große Aufregung in Schladming.[4] Man vermutete einen „Riesenbrand“ jenseits des Dachsteins. Die Berge leuchteten in Rot. Plötzlich zuckten rot-weiße Strahlenbündel auf. Es handelte sich um ein Nordlicht, wie es seit Menschengedenken nicht gesehen wurde. Die Sterne verblassten sogar bei diesem Licht. Kurz vor Mitternacht erlosch es.
Zeitzeugen schildern uns, wie sie es erlebten. Dr. Hans Wilfinger, Graschuh bei Stainz: „Ich war damals in Graz auf der Uni. Etwa um 19 Uhr trat ich ins Freie. Vor dem Hauptgebäude standen an die hundert Leute. Alle starrten in Richtung Koralm und Gleinalm, wo es immer heller wurde, in allen Regenbogenfarben. Uns hat davor gegraust, wie wir das gesehen haben. Der obere Teil der Berge hat rot geglüht, der Schnee hat das Licht grell reflektiert. Wir haben geglaubt, dort oben brennt alles. Das Licht hat die Farbe mehrmals gewechselt, ein paarmal hat es grün geflackert, dann wieder rosa.“
Nordlicht als böses Omen
OSR. Hans Wippel, er war damals in Steyeregg bei Wies Schulleiter: „Das Polarlicht hat uns allen sehr zu denken gegeben. Zeitweise war es so hell, dass man hätte die Zeitung lesen können. Die meisten Menschen interpretierten es als böses Omen. In einigen Häusern wurden sofort darauf Rosenkränze gebetet. Von einem Limberger Bauernhof, von dem zwei Kinder die Volksschule Steyeregg besuchten, haben am darauffolgenden Tag beide Kinder gefehlt. Erst am übernächsten Tag kamen sie wieder. Zur Entschuldigung sagten sie, der Vater hat sie aus lauter Angst vor einem großen Unglück nicht außer Haus gehen lassen. Er hat behauptet, bei so einem Nordlicht dürfe man nicht ins Freie gehen, denn wenn jemand von einem Lichtstrahl getroffen wird, fällt er sofort tot um. In den Tagen darauf habe ich mit einigen Leuten darüber geredet. Irgendetwas Arges kommt jetzt auf uns zu, hat eine alte Frau gesagt, hoffentlich kein Krieg.“
Unsicherheit bei Feuerwehren
In den vielen Berichten werden Einsätze der Feuerwehr erwähnt. Es gab kaum einen Ort, in dem sie nicht alarmiert wurde. Zwischen dem Feuerwehr-Kommandanten von Wildon und seinem Kollegen in Feldkirchen wurde lebhaft telefoniert, weil man in Wildon ein Großfeuer in Graz vermutete und wissen wollte, ob die Freiwillige Feuerwehr von Feldkirchen schon ausrücken musste.
Im November 2023 konnten wieder Polarlichter über der österreichischen Bergwelt beobachtet werden, auch für das heurige Jahr sind solche prognostiziert.[5] Ihre Entstehung verdanken sie den Sonnenstürmen, die energiegeladene Teilchen ausschleudern und auf das Magnetfeld der Erde treffen. In einem elfjährigen Zyklus kann sich dieses himmlische Schauspiel wiederholen.
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[1] Der Aufmerksame, 20. 3. 1839, „Das Nordlicht“.
[2] Grazer Volksblatt, 28. 10. 1870, „Von der Pack“.
[3] Sammlung LR Friedrich Pribitzer, Graz.
[4] Grazer Volksblatt, 27. 1. 1938, „Das Nordlichtphänomen“.
[5] Kleine Zeitung, 3. 1. 2025, „Magische Sonnengrüße“.