Die Sulmtalbahn war für die Region zwischen Leibnitz und Pölfing-Brunn jahrzehntelang eine wichtige Verkehrsader. Im Jahr 1967 wurde ihr Betrieb eingestellt, Erzählungen darüber gibt es aber noch immer. Beitrag von Herbert Blatnik.
Am 27. Mai 1967 fuhr zum letzten Mal der Sulmtaler Dampfzug vom Leibnitzer Bahnhof in Richtung Wies-Eibiswald ab. Die Sulmtalbahn war seit dem 13. Oktober 1907 fast 60 Jahre lang in Betrieb. Der „Sulmtalexpress“ war ein Arbeiter-Pendlerzug. Viele Sulmtaler hatten in Leibnitz ihre Arbeitsplätze, im Assmann-Werk und im Krankenhaus Wagna. Außerdem benützten in den ersten Jahren nach 1947 noch viele Kinder den Frühzug, um in die Hauptschule nach Leibnitz zu gelangen. Die beiden Tenderlokomotiven mit der Bezeichnung „1 Sulm“ und „2 Sulm“ befuhren die Strecke täglich zweimal mit je zwei Personenwagen, die meist gerammelt voll waren.
Wenn in Gleinstätten am jeweiligen 28. Oktober Viehmarkt war, wurden sogar Rinder in den Güterwaggons mitgenommen, sie wurden ganz einfach an Ringen an der Holzwand angekettet. 1952 wurde für den Personenverkehr ein Schienenbus angeschafft. Dieser durfte nur mit gedrosselter Geschwindigkeit fahren, mit maximal mit 35 km/h. In den 1960er-Jahren wurden am Oberbau mehrmals Reparaturarbeiten durchgeführt, eine gründliche Sanierung, für die jedoch kein Geld vorhanden war, wäre dringend notwendig gewesen. Das „Aus“ für die Bahnlinie war nicht mehr abzuwenden, trotz einiger Rettungsversuche.[1]
Der Jausenbaum
Die Sulmtalbahn war einer der wichtigsten Anekdotenlieferanten der Steiermark. „Da hat´s Sachen gegeben“, sagte ein Eisenbahner zum Autor und lachte verschmitzt, „das dürfen´s gar net schreiben.“ Bis heute sind Gerüchte nicht verstummt, dass es ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Eisenbahnern und den Heubauern an der Strecke gab. So soll in der Nähe von Gasselsdorf ein „Jausenbaum“ in unmittelbarer Nähe des Bahndammes gestanden sein. Wenn in der Mittagshitze ein Zug mit einem durstigen Lokführer dort vorbeipfauchte und der sah, wie gerade die Mahder den Mostkrug herumreichten, kam es eben vor, dass genau in diesem Augenblick ein besorgniserregendes Klappern bei einem Waggonrad zu hören war. Also, unbedingt anhalten! Der Lokführer musste absteigen und mit einem Hammer die Räder abklopfen. Während sich ahnungslose Sommerfrischler besorgt erkundigten, ob etwas kaputt war, hatte sich der Heizer schon den Mostkrug ausgeliehen.
Nicht-Sulmtaler wunderten sich oft über seltsame Geräusche, die vom Gepäcksabteil her zu vernehmen waren. Meist hörten sie ein Gackern, hin und wieder ein Grunzen. Die Sulmtalbahn war nämlich eine Lebensader für die zahlreichen lokalen Hendl- und Schweinebauern. Wenn in Leibnitz ein Jahrmarkt war, brachten sie Hühner, Gänse und Ferkel nach Leibnitz.
Der Weinbahnhof
Besonders hoch hergegangen ist es im Bahnhof Fresing im Spätherbst. Fresing war der sogenannte „Weinbahnhof“. Dort hatte man den halbvergorenen Traubensaft, den „Sturm“, auch in Fässern geliefert. Die Eisenbahner waren natürlich sehr hilfsbereit beim Einladen der Fässer und die Bauern dankten es ihnen stets mit einem Fläschchen Schnaps.
Einmal soll in Fresing etwas passiert sein, worüber die Sulmtaler noch Monate lang lachten: Der Schaffner wurde vergessen! Er hatte sich zu sehr in ein Gespräch mit einer hübschen „Weinzerltochter“ vertieft und zu spät bemerkt, dass der Zug schon aus der Station rollte. Er wollte noch nachlaufen, fiel aber auf dem Bahnschotter hin und konnte nur noch verzweifelt nachschreien und winken. Das Problem wurde auf einzigartige Weise gelöst: Nachdem einige Fahrgäste im letzten Waggon den Vorfall bemerkt hatten, kämpften sie sich bis zum Lokführer vor und meldeten ihm „Schaffner über Bord!“ Der Lokführer hielt einfach an und fuhr einen halben Kilometer zurück, um den Schaffner wieder aufzunehmen. Auf jeder anderen Bahnstrecke wäre das undenkbar gewesen.
Legendäres Personal
Das Personal der Sulmtalbahn bestand nur aus Originalen. Der legendäre Schaffner Josef Reiterer, der von 1909 weg 37 Jahre lang durch das Sulmtal fuhr, war allen ein Begriff für seine strengen Kommandos, wenn er, auf dem Trittbrett seiner Lok stehend, nach hinten rief: „Abfahrt! Abfahrt! Horcht denn schon wieder keiner?“ Unvergesslich war das Team Weghofer – Lampl. Hans Weghofer war Lokführer und ausgezeichneter Klarinettist, Herr Friedrich Lampl war Heizer und spielte steirische Harmonika. Irgendwie schafften sie es, während der Fahrt, wenn sie das richtige Publikum hatten, in die Waggons zu gehen und einige steirische „Gschtanzln“ zum Besten zu geben. Eines muss noch gesagt werden: das alles spielte sich ab in der Zeit der Dampfzüge. Als der Schienenbus immer mehr die Dampflok verdrängte, soll es mit der Gemütlichkeit rapid bergab gegangen sein. War dies etwa auch ein Grund, dass man sich von der Bahnlinie so schnell trennte?
[© Sammlung Makinger „Freunde der Sulmtalbahn“]
[1] Sammlung Blatnik, Protokoll der Befragung von Zugbegleiter Egon Taucher, Steyeregg bei Wies.