Ewige Kampfzone 12. Februar 1934?

von NEUES LAND

Die Februarkämpfe 1934 sind für das linke Lager bis heute eine Art immerwährender Beweis, in der Geschichte stets „auf der richtigen Seite zu stehen“. Verfasst von Hans Putzer im Rahmen der Serie „Zeitdiagnosen“.

 

Kaum ein Tag vergeht in diesem Monat, ohne von irgendeinem Medium in Sachen „Bürgerkrieg“, „Austrofaschismus“ oder „Zerstörung der Demokratie“ belehrt zu werden. Ob bei Ausstellungen im Wiener Rathaus oder im Grazer Museum der Geschichte, in manchen selbsternannten „Qualitätsmedien“ oder auch sogenannten „Boulevardmedien“, dem 12. Februar vor 90 Jahren gilt ein veröffentlichtes Interesse wie kaum einem anderen Ereignis in der österreichischen Geschichte. Auch der ORF, stets willfähriger Kombattant, wenn es um die vermeintlich richtige Sache geht, lässt sich hier nicht lumpen und hat seine meist sehr hörenswerte Reihe „Betrifft Geschichte“ mit dem Titel „So starb die Demokratie. So starb ein Land“ versehen. Da haben wir wohl sichtlich alle in der Schule fälschlich gelernt, dass Österreich erst mit dem Anschluss an Hitlers Nazi-Deutschland 1938 aufgehört hat, als völkerrechtliches Subjekt zu existieren.

Helmut Konrad, aufrechter Sozialdemokrat und emeritierter Zeitgeschichtler an der Universität Graz, der eine ganze Generation von Geschichtelehrern an unseren Höheren Schule geprägt hat, ist in diesen Tagen omnipräsent und gibt die Richtung vor: Da waren die bösen Bürgerlichen, welche die Demokratie gewaltsam zerstört haben, und die verzweifelten Sozialdemokraten in ihrem Scheitern, diese Demokratie mit der Waffe in der Hand zu retten. Was Konrad zumindest hoch anzurechnen ist, er verschleiert erst gar nicht, dass ein zentrales Motiv für dieses hyperaktiven Bedenken die Parallelität von 1934 mit der Gegenwart sei. Als Wissenschaftler bemüht er sich zwar um durchaus differenzierende Vergleiche, doch die Kernbotschaft, wer damals (und somit auch heute) die Guten und wer die Bösen waren und sind, bleibt.

Notwendiger Hinweis

Man wird, wenn man dieses Schwarz-Weiß-Denken zu hinterfragen beginnt, sehr rasch in eine Ecke geschoben, in die man mit gutem Grund nicht gestellt werden will. Daher und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist die christlich-soziale, später vaterländische Politik in den Zwischenkriegsjahren vom Korneiburger Eid der Heimwehr zur Abschaffung der Demokratie 1930 über die Ausschaltung des Parlaments 1933 durch Dollfuß – das Narrativ von der „Selbstausschaltung“ ist ungeachtet seiner formalen Begründbarkeit blanker Unsinn – bis hin zur der Errichtung des Ständestaates mit dem Verbot linker und rechter Parteien und der Einführung des Standrechts ein völlig inakzeptables Verbrechen an der österreichischen Bevölkerung gewesen. Dass es in diesem Klima im Februar 1934 zu Kampfhandlungen gekommen ist, darf in keiner Weise gutgeheißen werden.

Vorgeschichte

Wenn wir uns dennoch um eine differenziertere Beurteilung dieser Entwicklung, mehr noch, um ihre moralisierende Deutungsgeschichte bis herauf in die Gegenwart bemühen wollen, dürfen wir die Erste Republik nicht nur mit dem Filter links-selektiver Geschichtsvergessenheit analysieren.

Ein beredtes Beispiel dafür war auf Ö1 der „Klassiktreffpunkt“ am 27. Jänner dieses Jahres mit dem Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger sowie dem Schauspieler und Kabarettisten Erwin Steinhauer, beide großartige Künstler mit eindeutig zuordenbar politischem Background. So weit, so gut, das ist ebenso legitim wie es in einer ORF-Sendung wenig überraschend ist, unwidersprochen gegen die ÖVP polemisieren zu können. Man sende ja schließlich am Küniglberg, wie uns aktuell täglich und penetrant mitgeteilt wird, ein Programm „für alle“. Sei’s drum.

Bei dieser Sendung kam der Moderator mit seinen beiden Gästen auch auf die Zwischenkriegszeit und auf die vermeintliche Nichtaufarbeitung der Jahre, die zum – hier sogenannten – „Austrofaschismus“ geführt haben, zu sprechen. Man bräuchte, so der Tenor, eine Einrichtung, welche die Jahre ab 1927 wissenschaftlich untersuche. Wahrscheinlich werden nicht vielen Zuhörerinnen und Zuhörer die Doppelbödigkeit dieser Aussage mitbekommen haben. Denn das Narrativ von den Sozialdemokraten, die in der Geschichte immer „auf der richtigen Seite“ gestanden sind, beginnt mit dem Brand des Justizpalastes in diesem Jahr. Doch das ist unredlich oder zumindest ahistorisch. Wer nach einem Freispruch – ein Fehlurteil, davon ist auszugehen – zu Lasten erschossener Schutzbündler in einem zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend intakten Staatsgefüge eine zentrale Einrichtung der Justiz stürmt und dafür ein Sterben vor allem der eigenen Demonstranten in großer Zahl in Kauf nimmt, verteidigt nicht die Demokratie, sondern verfolgt, wie Gudula Walterkirchen gut begründet herausgearbeitet hat, eine marxistisch-totalitäre Agenda.

Karl Jawurek

Es wäre eine lohnende Aufgabe, den Leserinnen und Lesern dieses Artikels die Frage zu stellen, ob sie den Namen Karl Jawurek kennen. Wahrscheinlich nicht! Er war Sozialdemokrat und Gewerkschaftsmitglied und hat am 1. Juni 1924 den christlich-sozialen Bundeskanzler Ignaz Seipel zu ermorden versucht. Mutmaßlich aufgestachelt von einer linken Presse, die täglich den Kanzler für alles Leid der Nachkriegszeit verantwortlich gemacht und bis ins Persönliche verunglimpft hat, ist Jawurek – zugleich Täter und Opfer – ein signifikantes Beispiel für das innenpolitische Klima in diesen Jahren. Dass er mit einer vergleichsweise milden Strafe davongekommen ist, verdankte er ebenso dem Priester-Kanzler wie auch einen namhaften Geldbetrag als „Startkapital“ aus der Schatulle des Kanzlers nach seiner vorzeitigen Entlassung.

Linzer Programm

Die ideologische Zerstörung des ohnehin nur gering vorhandenen demokratischen Bewusstseins in der Ersten Republik – die Sozialdemokraten bis zur Machtübernahme Hitlers und das rechts-nationale Lager drängten auf einen Anschluss an Deutschland – erfolgte wohl schon 1926 mit dem „Linzer Programm“ der Sozialdemokraten. Hier wurden die Klassengegensätze als unaufhebbar sowie der kommunistische Geschichtsdeterminismus, wonach die gesamte Gesellschaft in Richtung Sozialismus verwandelt werden muss, als zwingend klassifiziert: „Demokratie, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel“, hatten schon die deutschen Sozialdemokraten auf ihrem Heidelberger Parteitag 1922 formuliert. In Linz 1926 hieß die österreichische Losung: Widersetze sich die Bourgeoisie den notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen, gemeint war damit insbesondere der Klassenkampf, „dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen“. Zu diesem Zeitpunkt war der sozialdemokratische paramilitärische Schutzbund nicht nur weitaus besser organisiert und bewaffnet als das legale Bundesheer, mit 80.000 Mitgliedern war er diesem auch zahlenmäßig weit überlegen. Von hier aus sind die folgenden Entwicklungen bis zum Februaraufstand eine ebenso schreckliche wie „nur schwer vermeidbare“ Konsequenz, eine Einschätzung wie sie von dem der Sozialdemokratie gewiss nicht ferne stehenden Politologen Anton Pelinka formuliert wurde.

„Austrofaschismus“

Während sich das Narrativ vom „Bürgerkrieg“, nicht zuletzt dank der profunden Forschungsarbeit zum Februar 1934 durch Kurt Bauer, weitgehend als unhaltbar erwiesen hat, ist die Frage nach dem Faschismus unverändert umstritten: Roman Sandgruber, Sozial- und Wirtschaftsgeschichtler an der Universität Linz, spricht vom „Ständestaat“, der keinesfalls „als faschistische Bewegung“ zu bezeichnen sei, und vergleicht Österreich mit seiner antiliberal-katholischen und berufsständischen Ausrichtung viel mehr mit Portugal unter Salazar, der 1933 in seinem Land eine neue Verfassung mit nur einer zugelassenen Partei eingeführt hatte. Diese Parallele zieht auch der in dieser Frage sicher interessensfreie US-Historiker Stanley Payne. Selbst der sozialdemokratische und vom Ständestaat verfolgte Chefideologe jener Jahre, Otto Bauer, spricht relativierend von einem „Halbfaschismus“, während prononciert sozialdemokratische Historiker wie Oliver Radkolb oder vor allem auch Emmerich Tálos den Begriff „Austrofaschismus“ als allein zutreffend einschätzen. Der Standort bestimmt eben wie so oft den Standpunkt. Dass selbst Karl Nehammer sich den Begriff „Austrofaschismus“ zu eigen gemacht hat, lässt übrigens auch tief in die aktuelle Orientierungslosigkeit der Volkspartei blicken.

Gemeinsames Gedenken?

Sind die Gräben zwischen den politischen Lagern noch immer so unüberwindlich, dass es auch 90 Jahre danach kein gemeinsames Gedenken für die politischen Opfer der ersten Republik, insbesondere des Februars 1934 geben kann? Es sieht so aus, aber es hat dies bereits gegeben. Schon Kanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und sein Vize Bruno Pittermann (SPÖ) haben in den 1960er-Jahren in dieser Frage zusammengefunden. Kreisky, für den 1934 nur der Anfang des „großen Unglücks“ von 1938 war, hat diesem zarten Pflänzchen einer Versöhnung wieder den Boden entzogen. Später haben es Werner Faymann (SPÖ) und Michael Spindelegger (ÖVP), beide allerdings weitgehend ideologieelastisch, noch einmal versucht.

Dabei müsste man dieses Rad gar nicht neu erfinden. Mit Anton Pelinkas Deutung sollten doch beide Seiten gut leben können: „Ich vermeide den Begriff Schuld und spreche eher von der Verantwortung. […] Für das Scheitern der demokratischen Republik gehe ich von einer geteilten Verantwortung aus, aber nicht zu gleichen Teilen.“

 

Beitragsfoto: Alfred Steffen

 

 

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