Natürlich wird man gegen all das, was in den folgenden Überlegungen zu lesen sein wird, sofort einige Totschlagargumente vorbringen können: Realpolitik heißt eben Kompromisse schließen, die Zeiten haben sich geändert, Sachzwänge verlangen Zugeständnisse. Ja eh! Niemand wird das ernsthaft bestreiten können, nur entledigt das die Verantwortlichen in den Parteien, auch über den politischen Alltag hinaus, zumindest von Zeit zu Zeit eine Art ideologische Selbstvergewisserung zu versuchen. Und ja, es wäre naiv zu meinen, damit allein rasch Wahlen gewinnen zu können, doch „kurzatmige“ Politik führt auf Dauer fast zwangsläufig in realpolitische Szenarien, die zusehends mehr am Erhalt der Macht und weniger an der Gestaltung der Gesellschaft Interesse haben.
Nach Wahlen
Die zuletzt stattgefundenen Wahlen zu den jeweiligen Parlamenten in Deutschland und in Österreich zeigen bemerkenswerte Parallelen. In beiden Ländern gibt es eine solide Mehrheit „rechts der Mitte“. In Deutschland erreichten CDU/CSU, FDP und AfD gemeinsam 53,65 Prozent der Wählerstimmen, in Österreich FPÖ und ÖVP 55,12 Prozent. Dabei sind die ideologisch ständig schlingernden NEOS (9,14 Prozent) gar nicht mitgerechnet. Doch weder in Wien noch künftig in Berlin wird dieses Ergebnis in den jeweiligen Regierungen abgebildet.
Dafür gibt es hinreichende Gründe, ob diese allerdings auch ausreichend sind, sei dahingestellt. Aber es ist zumindest nachvollziehbar, dass es in Deutschland in der AfD Repräsentanten gibt, mit denen man angesichts historischer Vorbelastungen und ideologischer Unüberbrückbarkeiten nicht gemeinsam regieren will. Und in Österreich hat Herbert Kickl ohnehin in seiner Pressekonferenz unmittelbar nach dem Erhalt des Regierungsauftrages durch den Bundespräsidenten bereits klar gemacht, er wolle alles oder nichts.
Dabei hätte es zumindest hierzulande jene Alternative geben können, wie es uns die Niederlande gezeigt hat. Hier hat der Rechtspopulist Geert Wilders, ideologisch und habituell Kickl durchaus ähnlich, durch seinen persönlichen Verzicht den Weg für eine Regierung mit einem dezidiert linken Programm nicht freigemacht.
Währenddessen feiern in Deutschland und Österreich die Sozialdemokraten essentielle „Landgewinne“; hier die Hegemonie über Justiz und Medien sowie einen weit linksstehenden Staats-Adoranten als Finanzminister, dort ein Schuldenpaket von 1000 Milliarden Euro, dessen Zinsenlast nicht nur den deutschen Haushalt vor unlösbare Probleme stellt, sondern angesichts der damit auch bezahlten Klimaschutzmaßnahmen die Deindustrialisierung weiter vorantreiben wird. Unabhängig davon, welche Fiskalpolitik Österreich künftig einschlagen wird, dieses Paket unseres wichtigsten Handelspartners wird auch uns massiv treffen.
Alternativlos?
Auf den Punkt gebracht: Auch wenn die Bevölkerung mehrheitlich nicht links wählt, bekommt sie eine solche Politik, weil – übernehmen wir an dieser Stelle halt das Narrativ von den nicht regierungsfähigen Rechtspopulisten, wofür es, wie schon gesagt, auch gute Gründe gibt – CDU/CSU und ÖVP in den letzten Jahrzehnten für die Wählerinnen und Wähler sukzessive unattraktiver geworden sind. Spätestens hier kommt Franz Josef Strauß zum ersten Mal ins Spiel: Bereits in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts befand sich in Deutschland mit den „Republikanern“ eine rechtsnationale Partei im Aufwind.
Für Strauß gab es hier nur eine Antwort: „Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Damit grenzte er sich zum einen von allen neo-nationalsozialistischen Ideologien deutlich ab, eine solche Politik darf es ja in der Tat nie mehr wieder geben, zum anderen aber, und das ist der viel wichtigere Aspekt, er gab seiner Partei und ihren „Schwesterparteien“ wie der ÖVP einen klaren Auftrag. Der fatale Irrtum von Angela Merkel, ihr Heil in einer definitorisch ohnehin kaum fassbaren politischen „Mitte“ zu suchen, hat ihr zwar eine beachtlich lange Regierungszeit ermöglicht, das „christdemokratisch-konservative Lager“ aber ideologisch weitgehend ausgehöhlt.
CDU/CSU und die ÖVP sind, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, auf jenes links-grüne Narrativ hereingefallen, nachdem linke Positionen immer moralisch gut und richtig sind, während politisch rechts Stehende immer die Bösen und Unanständigen bleiben. Der von der 68er-Generation proklamierte „Marsch durch die Institutionen“, insbesondere in den Medien, an den Universitäten und in der Justiz, ist – aus deren Warte – eine mehr als beachtliche Erfolgsgeschichte.
Wer nun meint, dass dies übertrieben sei, sollte sich nur zwei von unzähligen Beispielen vergegenwärtigen. Wann immer im ORF von unserer „krisenhaften Gegenwart“ die Rede ist, kommen so sicher wie das Amen im Gebet die drei gleichen „Bedrohungen“: Krieg in der Ukraine, Klimakatastrophe und Rechtsruck in Europa. Wer also nicht links wählt, wird mit Krieg und Klimaschäden in einen Topf geworfen. Und in Graz gab es erst vor kurzem einen mehr als absurden Fall: Ein Unternehmer, der sich täglich darum bemüht, dass die ohnehin zunehmend an Attraktivität verlierende Innenstadt nicht weiter „stirbt“, muss nun wegen eines Schildes, das um sechs Zentimeter zu lang ist, 1200 Euro Strafe zahlen. Wenige Tage darauf erklärte die kommunistische Bürgermeisterin, dass sie Obdachlose, die ihr Quartier mit Schlafsack und Bettlerschale im öffentlichen Raum aufschlagen, finanziell unterstützen werde. Kurz gesagt: Wenn sich jemand vor dem Geschäft mit dem zu langen Schild zum Übernachten legt, wird er dafür belohnt. Vielleicht muss die Landeshaupttadt eben deshalb zu solchen absurden Strafen greifen, das Geld muss ja schließlich auch woher kommen.
Man muss ja neidlos anerkennen, um wie viel rascher und zielgerichteter die linken „Begleitschutztruppen“ auf veränderte Bedingungen reagieren. War bis vor einem halben Jahr in diesem Lager die E-Mobilität faktisch sakrosankt und jeder, der von Technologieoffenheit gesprochen hat, ein verantwortungsloser Klimasünder, ist nun innerhalb weniger Wochen „Tesla“ zum Inbegriff allen Bösen geworden. Jan Böhmermann erzählt – natürlich im öffentlich-rechtlichen ZDF – „Teslawitze“ nach dem Vorbild von „Blondinen“- oder „Ostfriesenwitzen“. Und am Buchmarkt sind erst dieser Tage „Die Tesla-Files“ erschienen mit „Enthüllungen aus dem Reich von Elon Musk“. Bitte nicht falsch verstehen. Es gibt jede Menge gute Gründe, Musk und seine Rolle in der Politik von Donald Trump nicht zu mögen. Aber was auffällt, ist, hier wie bei unzähligen anderen Beispielen, dass ein ebenso engagierter Diskurs von konservativer Seite meist fehlt.
Fortschritt
Warum ist das so? Warum lassen sich bürgerliche, dem Sozialismus kritisch gegenüberstehende Personen oder Parteien diese Diskursmacht offensichtlich völlig widerstandslos gefallen? Noch einmal Franz Josef Strauß: „Der Konservative steht an der Spitze des Fortschritts.“ Das war kein frommer Wunsch des sprachmächtigen Politikers. Das war seine feste Überzeugung, denn er war sich der Überlegenheit seiner politischen Werte, Haltungen und Entscheidungen bewusst. Während Sozialdemokraten oder klima-fundamentalistische Grüne bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit betonen, stets „auf der richtigen Seite der Geschichte zu sein“, steht der Bürgerliche daneben und denkt sich frei nach Franz Grillparzer „seinen Teil und lässt die anderen reden“.
Die ÖVP speise sich weltanschaulich aus drei Quellen, das ist überall nachzulesen. Sie sei „christlich sozial, liberal und konservativ.“ Der Konjunktiv „sei“ ist hier sehr bewusst gewählt. Doch dieses Bekenntnis hält einer genaueren Überprüfung nicht wirklich stand.
Wäre sie wirklich „christlich-sozial“ und nicht ein wenig sozialistisch mit ein wenig Weihrauch, würde sie längst über die Pervertierung des Begriffs der „sozialen Gerechtigkeit“ reden. Statt immer nur die Notwendigkeit der Umverteilung als „gerecht“ zu bezeichnen, müsste sie endlich auch die Zumutbarkeit für die Bezahlenden thematisieren. Das wäre jener Fortschritt, den Strauß wohl meinte.
Wäre die ÖVP wirklich liberal, hätte es einen Aufschrei geben müssen, als dem neuen Finanzminister im ORF-Interview auf die Frage nach den finanziellen Nöten der Gemeinden nicht anders eingefallen ist, als der Hinweis, es gäbe eben zu wenig Steuergeld.
Und wäre die Volkspartei last but not least wirklich konservativ, würde sie auch den Mut haben, nationalen Interessen, sei es bei heimischen Lebensmitteln, bei der Zusammensetzung des Staatsvolkes oder bei der Privilegierung einer europäisch geprägten Kultur, bestmöglich zu verfolgen.
Erschienen im Rahmen der Serie „ZEITDIAGNOSEN” von Hans Putzer.
In der Serie „Zeitdiagnosen“ schreibt Hans Putzer monatlich einen Beitrag über gesellschaftliche und politische Themen. Hans Putzer war von 1999 bis 2008 Chefredakteur von NEUES LAND, von 2010 bis 2018 Direktor des Bildungshauses Graz-Mariatrost und zuletzt Mitarbeiter im Grazer Rathaus. Er wohnt mit seiner Familie in Hausmannstätten und verfasst seit vielen Jahren Beiträge für den Steirischen Bauernkalender.