Das Kalkül des Präsidenten

von Karl Brodschneider

Bei der EU-Wahl sticht ein Länderergebnis besonders hervor. In Frankreich hat das rechtsextreme Rassemblement National (RN) mit 31,4 Prozent einen Erdrutschsieg erreicht. Trotzdem überraschte nun Präsident Emmanuel Macron alle, als er sofort nach der Wahl ankündigte, die Nationalversammlung aufzulösen und kurzfristig neue Parlamentswahlen auszurufen. Diese sollen noch im Juni stattfinden.

Bei den Wahlen steht Macron nicht zur Abstimmung, aber seine eigene Partei. Die Liberalen haben im französischen Parlament derzeit 245 der 577 Sitze. Bei der EU-Wahl kam sein Lager aber nur auf 14,6 Prozent. Sollte seine Partei bei den Wahlen verlieren, müsste Macron gegen eine Parlamentsmehrheit regieren, die ganz andere europäische Vorstellungen hat als er.

Aber das dürfte Macron in Kauf nehmen wollen. Anscheinend hofft er, dass es dann zu einer Entzauberung der Rechtsextremen kommt. Denn im Parlament und in der Regierung müsste dann die Gruppe rund um Marine Le Pen die großen Brocken im Land, das mit einer immensen Staatsverschuldung kämpft, in Angriff nehmen. Er selbst aber würde außenpolitisch und als Oberbefehlshaber weiterhin die wichtigsten Fäden in der Hand halten.

Übrigens hat es in Frankreich schon dreimal die Situation gegeben, dass der Staatspräsident und Premier verschiedenen Parteien angehören. Zuletzt war das zwischen 1997 und 2002 mit Jacques Chirac und dem Sozialisten Lionel Jospin als Regierungschef der Fall. Alles deutet jetzt darauf hin, dass es diese spezielle Konstellation bald zum vierten Mal geben wird.

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