Die nicht eingetretene Wahlniederlage  

von Karl Brodschneider

Nicht nur in der Türkei war dem Ergebnis der Parlaments- und Präsidentenwahl entgegengefiebert worden. Meinungsforscher hatten dem Oppositionsanführer Kemal Kilicdaroglu eine respektable Führung vor dem Langzeit-Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorausgesagt und lagen damit weit daneben. Auch wenn Erdogan im ersten Anlauf die 50-Prozent-Hürde knapp verfehlte, lag er dennoch 2,4 Millionen Stimmen vor seinem Herausforderer. Zudem konnte seine Volksallianz im neuen Parlament die absolute Mehrheit der Mandate verteidigen.

Daher war es unverständlich, dass Erdogan nach dem Bekanntwerden der ersten Wahlergebnisse in manchen Medien als Verlierer dargestellt wurde, weil er nicht wie bei vorangegangenen Wahlen sofort die absolute Mehrheit erreichen konnte. Es war aber schon auffallend, dass Erdogan trotz großer Probleme im Land reüssieren konnte. Die Hyperinflation, die seit Jahren an den Einkommen der Menschen zehrt, ist normalerweise ein Grund, die Regierenden bei Wahlen abzustrafen. Dazu kam das Erdbeben im Februar, bei dem mindestens 51.000 Menschen starben. Und trotzdem schaffte es Erdogan ein weiteres Mal, vorne zu bleiben. Dabei dürfte ihm sicher geholfen haben, dass ihm nahestehende Unternehmer große Teile der türkischen Medien kontrollieren.

Und noch etwas fiel besonders auf. Die Wahlbeteiligung lag bei 89 Prozent. Dass sie beim zweiten Wahldurchgang Ende Mai noch einmal so hoch sein wird, ist aber zu bezweifeln, denn viele, die bis zum Sonntag noch an eine Zeitenwende geglaubt haben, dürften enttäuscht daheimbleiben.

 

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