Vorweg: Dieser Text wurde am Sonntag, den 23. Februar, geschrieben. Vieles sieht aktuell danach aus, dass es nun im dritten Anlauf endlich zu einer Regierungsbildung kommt. Aber es kann an dieser Stelle nach den Erfahrungen der letzten Monate nichts Sicheres vorausgesagt werden. Vielleicht ist, wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser Ihre Zeitung in die Hand nehmen, schon wieder alles anders.
Womit wir in jedem Fall rechnen dürfen: Die neue Regierung wird uns versprechen, dass nun alles besser werden wird, dass die Politik die Lehren aus dem Wahlergebnis zu ziehen bereit ist, ja wahrscheinlich wird – zum wievielten Mal nach Wahlen auch immer, einmal mehr – von Schwarz und Rot mit dem Brustton der Überzeugung ein neuer Geist der Zusammenarbeit beschworen werden. Man wird – „geschafft!“ – sehr rasch zur Tagesordnung übergehen; und das nicht zu Unrecht, denn Herausforderungen, die keinen Aufschub mehr zulassen, gibt es genug! Aber das alles werden Sie im Politikteil von NEUES LAND und BauernZeitung ohnehin lesen und darum soll es hier auch gar nicht gehen.
Viel mehr wäre es endlich Zeit, über alle Parteigrenzen hinweg, über den Zustand der Politik in unserem Land grundsätzlich nachzudenken. Nicht das hier alles schlecht wäre. Es gibt eine weitgehend gut arbeitende Kommunalpolitik. Kein Bürgermeister, keine Bürgermeisterin könnte es sich erlauben, die Wahrnehmung seiner/ihrer Arbeit durch die Bevölkerung so selbstgefällig zu ignorieren, wie es zum Teil auf Landes- und Bundesebene geschieht. Auch für die Interessensvertreterinnen und -vertreter sei an dieser Stelle eine Lanze gebrochen. Was in den jeweiligen Kammern für die Wirtschaftstreibenden und die bäuerlichen Betriebe auf der einen Seite, aber auch in der Arbeiterkammer für die unselbstständig Erwerbstätigen erreicht wird, mag zwar für Einzelne zu wenig oder überhaupt falsch sein, aber insgesamt stimmt die Rhetorik mit den Bemühungen und diese mit den Ergebnissen meist überein, die Bilanzen können sich durchwegs sehen lassen. Warum gelingt das aber der sogenannten „hohen Politik“ nicht oder nur sehr selten?
Leid und Spital
In den Tagen vor der Wahl zum Landtag Steiermark gab es fast täglich in irgendeinem Medium eine sogenannten „Konfrontation der Spitzenkandidaten“. Neuigkeitswert im Regelfall naturgemäß null! Auch in einer TV-Diskussion bei einem Privatsender ging es einmal mehr um das leidige Thema Leitspital im Bezirk Liezen. Und hier haben sich die Befürworter bemerkenswert schlecht geschlagen: Sinngemäß zusammengefasst – und nur so kommt es bei der Bevölkerung an – meinte der Landeshauptmann (VP), die Menschen werden künftig schon noch sehen, dass die Landesregierung und nicht die Opposition Recht habe, während sein Stellvertreter (SP) darauf verwies, mangels eigener Expertise, eben den Experten in ihrer Befürwortung des Leitspitals zu folgen.
Wer bereit war, auch nur ein wenig über diese paar Fernsehminuten hinaus weiterzudenken, wird zugeben müssen, dass hier wie in einem Brennglas fokussiert, viel von dem Elend der aktuellen österreichischen Politik sichtbar geworden.
1. Wir haben ein veritables Problem mit dem „politischen Personal“, das sichtlich umso schlagender wird, je weiter es „nach oben“ geht. Der oft strapazierte „Spalt innerhalb der Gesellschaft“, der von der politischen Blase, bestehend aus Politik, Politikberatung, Medien und einer Vielzahl von NGOs, täglich neu beschworen wird, ist viel mehr längst ein Spalt zwischen dieser Blase und der Bevölkerung geworden. Die regelmäßig abgefragten und in ihrem Ergebnis ebenso regelmäßig erschreckenden Vertrauens- und Sympathiewerte der Spitzenpolitiker und -politikerinnen scheinen „intern“ niemanden wirklich ernsthaft zu erschüttern. Zum einen säßen ohnehin alle im selben Boot und zum anderen habe man es schließlich in der eigenen Partei ganz nach oben gebracht, was ja bekanntlich die wichtigste Qualifikation für ein politisches Amt geworden ist.
2. In einer auf Dauerkonfrontation ausgerichteten Politik gilt ja die Regel, die Dosis ständig zu steigern, um das „Krankheitsbild“ des jeweils anderen sichtbar werden zu lassen. Wahlkämpfe sind längst nicht mehr nur „Zeiten fokussierter Unintelligenz“, wie Michael Häupl 2005 gemeint hat, sondern auch und vor allem Zeiten fortschreitender Hemmungslosigkeit. Das mag ja in unserer Mediengesellschaft einen gewissen Unterhaltungswert haben, doch wollen wir wirklich politische Repräsentanten haben, denen nichts mehr peinlich ist?
3. Das alles ist natürlich auch das Ergebnis einer schon seit Jahrzehnten konsequent betriebenen Denunziation der Politik, insbesondere durch die Politik selbst und seitens der oben beschriebenen Blase. Wer lange genug in einen Abgrund schaue, dem kommt irgendwann dieser Abgrund entgegen, hat Friedrich Nietzsche sinngemäß schon im 19. Jahrhundert gewusst. Volkstümlicher formuliert: Wahrscheinlich war es für begabte Menschen noch nie so unattraktiv in die Politik zu gehen wie heute.
4. Ob in der politischen Berichterstattung oder noch viel mehr am politischen Sachbuchmarkt, dominiert seit Jahren nicht mehr die argumentative Analyse, sondern die Parteinahme für die eine oder die andere Seite.
5. Dass die wachsende Individualisierung und der damit einhergehende Bedeutungsverlust von Gemeinwohlinteressen, wie auch die sozialen Medien eine wichtige Rolle spielen, ist offensichtlich. Das mag übrigens auch eine Erklärung sein, warum Kommunal- und Interessenpolitik um so viel besser gelingen: persönliche Kontakte sind doch etwas anderes als schnell ins Handy getippte Schimpftiraden. Und Lobbyismus – wohlgemerkt im positiven Sinn – kann im eigenen, klar definierten Bereich sinnvoll und erfolgreich sein.
6. Apropos soziale Medien: sie in Sonntagsreden zu verunglimpfen, gehört zum politischen Alltag ebenso wie sie zugleich ständig für den eigenen Erfolg nutzen zu wollen.
7. Die Politik arbeitet zudem täglich an der Zunahme ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit. Der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek hat angesichts der Verhandlungen von FPÖ und ÖVP in einem Interview ganz entspannt davon gesprochen, dass insbesondere im Hinblick auf die Migrations- und Asylproblematik kein Grund zur Sorge vor etwaigen Verschärfungen bestehe, denn hier sei alles durch ein faktisch nicht mehr veränderbares Völker- und Europarecht in Stein gemeißelt. Georgia Meloni kann davon längst ein Lied von der Fesselung national erwünschter Politik durch die Justiz singen.
8. Auf den ersten Blick scheint es paradox zu sein: Obwohl das Image der Politik denkbar schlecht ist, gab es in der Öffentlichkeit noch nie so viel Politik wie heute. Wer sich – zu fast jeder beliebigen Zeit – durch die TV-Kanäle eines durchschnittlichen österreichischen Haushalts durchzappt, landet fast immer bei einer politischen Diskussion. Sieht man vom ORF und Servus TV ab, die noch über ein einigermaßen vielfältiges „Vollprogramm“ verfügen, bringen private Sender und Internetplattformen – zudem ständig wiederholte – Politikdiskussionen und -formate in Dauerschleife. Das ist zu einem ein vergleichsweise – in beiden Bedeutungen des Wortes – billiges Programm und dient zum anderen aber auch den primitivsten Bedürfnissen nach Wiener Prater-Manier. „Haut’s den Lukas“ war früher einmal, heute kommen vor allem unerträgliche, meist ehemalige Politikerinnen und Politiker wie Gerald Grosz, Peter Westenthaler, HC Strache, Andreas Mölzer, Josef Cap, Ewa Glawischnig, Andrea Kdolsky, aber auch das verhaltensauffällige Ehepaar Bohrn Mena ständig zu Wort. Und für die nur vermeintlich anspruchsvolleren Zuseher gibt es dann von Zeit zu Zeit auch noch Heinz Fischer und Franz Fischler. Gemeinsam ist ihnen allen, Politik als das Spiel moderner Gladiatorenkämpfe zuerst zu inszenieren und dann zu verunglimpfen.
9. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt sind, beim Leitspital und bei den sogenannten „Konfrontationen“. Längst dienen solche Diskussionen nicht mehr der Information, auch nicht mehr dem argumentativen Abwägen von Positionen, sondern ausschließlich dem Kampf um den besseren „Sager“, um „Wirkungstreffer“ beim Gegner, um den raschen strategischen Vorteil. Ein wenig erinnert das alles an ein Casino. Am Ende gewinnt immer die Bank, in diesem Fall sind es die Medien und ihre oft inhaltlich kaum profunden Moderatorinnen und Moderatoren. Und wie die Spieler im Casino hört die Politik nicht auf, daran zu glauben, die Bank überlisten zu können. Zugegeben, sie kann im Idealfall die Macht behalten oder erhalten. Besonders zukunftsfähig ist das alles aber nicht!
Erschienen im Rahmen der Serie „ZEITDIAGNOSEN” von Hans Putzer.