Gewessler, Kickl und ein bisserl Revolution!

Auch wenn es keiner laut aussprechen will, in Österreich braut sich ein politisches Klima zusammen, dessen Folgen wohl noch niemand so richtig abschätzen will.

von NEUES LAND

Die inhaltlichen Diskussionen um die mutmaßlich verfassungsrechtlich nicht legitime Zustimmung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler zum europäischen Renaturierungsgesetz müssen in einem Agrarmedium nicht weiter vertieft werden, wobei – zugegeben – die Verlockung schon groß ist, in Abwandlung eines alten Greenpeace-Slogans festzuhalten: Erst wenn das letzte Stück Kulturlandschaft renaturiert ist, werdet ihr merken, dass der Mensch auch essen muss. Doch das wäre dann wohl zu polemisch.

Auch diese Zeitdiagnose will einmal mehr den Blick über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus auf einige Punkte werfen, die im medialen Diskurs bisher zu kurz oder zumindest nicht ausreichend genau behandelt worden sind.

Da fällt zuallererst – wenn auch nur am Rande – auf, dass der durchaus skandalöse Umgang der beiden SP-Landeshauptleute Michael Ludwig und Peter Kaiser so gar kein Thema ist. Zur Erinnerung: Es gibt einen bis heute unverändert gültigen und verbindlichen Beschluss aller Landeshauptleute gegen das Renaturierungsgesetz. Ludwig und Kaiser haben sich, als das Thema zur innenpolitischen Causa prima geworden ist, plötzlich für Gewessler stark gemacht. Das Motiv war offensichtlich: Wenige Wochen vor den Nationalratswahlen muss die Volkspartei verlieren. Und man sollte sich zugleich auch nicht der Illusion hingeben, dass der dritte rote Landeshauptmann – Burgenlands Peter Doskozil – auf der Linie der Landeshauptleutekonferenz nur geblieben ist, weil er dieses Gesetz ablehnt. Für ihn ist es wenige Wochen vor den Wahlen vor allem wichtig, dass Babler und die Bundes-SPÖ keine raschen Punkte sammeln dürfen.

Zurück zu Gewessler und lassen wir einmal wohlwollend die Frage beiseite, inwieweit der europaweite grüne Bauchfleck bei den Wahlen zum EU-Parlament hier eine Rolle gespielt hat. So offensichtlich dies ist, manchmal reicht es auch, nur das Behauptete ernst zu nehmen, denn Gewesslers Begründungen für ihre Unterschrift sind bemerkenswert aufschlussreich. Sie sei zum einen „ihrem Gewissen verpflichtet“ und zum anderen „dränge die Zeit“ so sehr, dass es keinen Aufschub mehr geben dürfe. Darauf ist noch zurückzukommen!

Zudem hatte sie doppelten Rückenwind: Bei einem Gesetz, bei dem sich selbst die überwiegende Mehrheit aller Kommunal- und Regionalpolitiker nicht ausreichend informiert fühlt und das den Schutz der Natur als inhaltsleere Überschrift verwendet, kann Gewessler sich einerseits der weitgehend uneingeschränkten Zustimmung der Bevölkerung ebenso sicher sein, wie sie sich andererseits auf den Begleitschutz durch einen Großteil der veröffentlichten Meinung verlassen kann, wenn es gegen die ÖVP geht.

Gefährliche Sehnsucht

Selbstredend sollte man die Jubelstimmung an Parteitagen nicht überbewerten. Ob gut organisiert oder (beinahe) spontan, das gehört zum Werkzeugkoffer der Parteisekretariate. Dennoch erinnerte die Art des Zuspruchs für Gewessler beim grünen Bundeskongress am 22. Juni im Wien in fast schon gespenstischer Weise an die regelmäßig inszenierten blauen Hochämter für Herbert Kickl. Hier wie dort gilt der Beifall vor allem dem Umstand, dass sie beziehungsweise er es den Anderen so richtig gezeigt hat, dass sie beziehungsweise er sich von den Institutionen des Rechtsstaates nicht aufhalten lässt und dass sie beziehungsweise er dem, was man früher noch „politische Kultur“ genannt hat, sich in keiner Weise verpflichtet fühlt. Es gibt nur ein „Ich oder die Anderen“, die Vokabel „wir“ hat im politischen Wortschatz von Gewessler und Kickl keinen Platz mehr. Und wir können diese nur scheinbar widersprüchliche Mischung aus Stimulans und Narkotikum auch mit der notorischen Sehnsucht der Österreicherinnen und Österreicher nach einem „starken Mann“ verstehen. Dass es nun um die Inszenierung einer „starken Frau“ geht, die imstande ist, alles allein durchzusetzen, mag ja ein emanzipatorischer Erfolg sein, aber wie wir seit Johann N. Nestroy wissen: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“

Was war das 2019 für ein – berechtigter – Aufschrei, als Kickl davon gesprochen hat, dass das Recht der Politik zu folgen habe. Spätestens seit Gewesslers Unterschrift in Brüssel wissen wir, dass die „Grünen“ die linken Geschwister der „Blauen“ im Geiste sind. Kickl will politische Andersdenkende auf Fahndungslisten setzen, Gewessler attackiert in selbstentlarvender Weise den Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt. Frei nach dem Motto: Wenn uns das Gesetz und die Rechtspflege nicht unterstützen, machen wir eben eigene – genehmere – Rechtskörper. Nur zur Erinnerung: Auch der erste Leiter der medial unter Dauerkritik stehenden Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft war ein ehemaliger grüner Abgeordneter, wobei dessen persönliche Integrität an dieser Stelle ausdrücklich nicht in Frage gestellt wird.

Interessant ist an dieser Stelle bloß, dass bei Sebastian Kurz jedes Hinterfragen der Justiz als verantwortungsloser Anschlag auf deren Unabhängigkeit gewertet wurde, nun aber genau der für solche Fragen innerhalb der Bunderegierung zuständige Verfassungsdienst von den Grünen denunziert wird.

Politisches Handeln

Werden wir kurz grundsätzlicher: Politisches (und im engeren Sinn auch parteipolitisches) Agieren geschieht ein wenig vereinfacht dargestellt auf drei Ebenen, die man sich auch als konzentrische Kreise vorstellen kann. Der innerste ist ein Antworten auf konkrete Herausforderungen oder auch der Wille, diese im jeweils eigenen Verständnis zu gestalten. Der zweite Kreis gilt den völlig legitimen Bemühungen aller politischen Mitbewerber, durch ihr Handeln Mehrheiten zu erzielen und damit Gestaltungsräume zu öffnen. Der äußere Kreis betrifft die großen – sorry, von der Politik übrigens meist nur wenig zu beeinflussenden – gesellschaftlichen Entwicklungen wie beispielsweise Demografie, Technologie oder Identitätsdiskurse. Früher haben die Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften in diesem Zusammenhang gerne vom „Paradigmenwechsel“ gesprochen, heute ist man eher dazu übergegangen, von „Transformation“ zu reden. Ist zwar nicht ganz das Gleiche, aber das soll uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen.

Unsere gesamte Menschheitsgeschichte ist voll von solchen Transformationen, erfolgreichen wie auch weniger erfolgreichen. Manchmal waren es generationen- und jahrhunderteübergreifende evolutionäre Prozesse, manchmal aber auch umbruchartige Erscheinungen, deren Zeitpunkt ziemlich genau fixiert werden kann; dann spricht man von „Revolutionen“, organisiert im Regelfall von einer kleinen Gruppe, die ganz bewusst und willentlich die bestehende Rechtsordnung mit dem Hinweis auf eine persönliche Gewissensnot, auf die Alternativlosigkeit zu ihrem Handel und einer unabdingbaren Dringlichkeit bricht.

Innenminister Gerhard Karner hat daher zurecht darauf hingewiesen, dass das Handeln Gewesslers mit dem Aktionismus der „Letzten Generation“ verglichen werden muss. Neutral formuliert, beide nehmen bewusst in Kauf, ein politisches Anliegen über die Rechtsordnung zu stellen und somit in einer Art „rechtsfreiem Raum“ zu agieren.

Wehret den Anfängen!

Nein, an dieser Stelle soll der Umweltministerin nicht unterstellt werden, dass sie daran mitzuwirken gedenkt, unser demokratisch-liberales Staatsverständnis auszuhebeln (das gilt übrigens ebenso für Herbert Kickl). Doch sie stellt sich in einen Kontext (vielleicht ist sie sich dessen selbst nicht einmal bewusst), der revolutionäres Handeln als politische Option anerkennt.

So sind beispielsweise große Teile der „Klimabewegung“ davon überzeugt, dass nur ein völlig anderes politisches und ökonomisches System die Erde retten werde: „System change, not climate change“.

Es ist eine Summe von Mosaiksteinchen, die uns zunehmend Sorge bereiten soll. Die Aufzählung bleibt naturgemäß unvollständig.

  • In Deutschland demonstrieren Islamisten für die Errichtung von Kalifaten, in denen die Scharia die Rolle der aufgeklärten europäischen Rechtsordnung übernehmen soll.
  • Hierzulande werden die Stimmen immer lauter, die die Politik, insbesondere auch jene aus Brüssel, sowie die medialen Deutungseliten als Bevormundungsinstrument empfinden.
  • Während die traditionelle Staatsrechtslehre davon ausgegangen ist, dass die Kontrolle über das Staatsgebiet, die Kontrolle über die Zusammensetzung der Bevölkerung und das Vorhandensein einer einheitlichen Staatsgewalt die drei Grundbedingungen für jedes Staatswesen sind, fantasieren einige aus den angesprochenen Deutungseliten wie zuletzt in Ö1 die Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger unwidersprochen darüber, Grenzen zu demokratischen Begegnungsräumen zu entwickeln, wo Menschen von beiden Seiten, naturgemäß auch mit Flüchtlingen, in einer Art Diskursforum darüber entscheiden, wer wohin darf oder bleiben muss.
  • Auch dass der Kommunismus in manchen Kreisen wieder salonfähig wird, sollte uns wachsam werden lassen.
  • Und last but not least: Wer zuletzt die Wiener Festwochen verfolgen konnte, kam aus dem Staunen nicht heraus. Hier wurden in bester altmarxistischer Tradition Schauprozesse abgehalten, zur Revolution aufgerufen und der „Freien Republik Wien“ eine eigene Verfassung gegeben. Aber ist ja alles nicht ernst gemeint, oder?

Erschienen im Rahmen der Serie „ZEITDIAGNOSEN” von Hans Putzer.

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