Es ist also ziemlich rasch gegangen, auch dieses Mal wie schon seit Jahrzehnten. Was haben wir in den Tagen vor dem Konklave alles von zu Expertinnen und Experten Ernannten und sich selbst zu Insidern Erklärten gehört: Es wird diesmal länger dauern … so viele erst jüngst ernannte und wahlberechtigte Kardinäle … ein Kollegium, das in seiner Internationalität, vor allem auch im Hinblick auf die sprichwörtlich gewordenen „Ränder der Welt“ ohne Vorbild sei … eine Kirche, die in sich schier unüberbrückbar gespalten sei zwischen den „Konservativen“ und den „Liberalen“.
Ja, es war die Stunde der politischen Kommentatorinnen und Kommentatoren, deren weitgehende Ahnungslosigkeit darüber, wie es in den höchsten Ebenen der Kirche realiter zugeht, nicht erst bei diesem Konklave einmal mehr offensichtlich geworden ist. Weil man mit den eigentlich relevanten und zuweilen auch durchaus widersprüchlich erlebten „Wirklichkeiten“ der Kirche, ihrem „transzendent-sakramentalen“ Wesen auf der einen und ihrer „innerweltlichen“, einer sozialen Logik folgenden Struktur auf der anderen Seite als politischer Journalist nur wenig anzufangen weiß, inszenierte man die Wahl als eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern. Den Blick mehr auf das Trennende als auf das Gemeinsame zu werfen, müsse schließlich auch für eine Papstwahl gelten.
Aufmerksamen Zusehern der Live-Berichterstattung zwischen dem „weißen Rauch“ und „Habemus Papam“, also der letzten Chance für Spekulationen, wird es nicht entgangen sein, wie der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner geheimnisvoll raunend Kardinal Prevost als seinen Wunschkandidaten und den „Favoriten seines Herzens“ ins Spiel brachte. Fast wortident kommentierte nach erfolgter Wahl Kardinal Schönborn das Ergebnis dieses Tages. Der Schlüssel dafür liegt – und dazu muss man nur zwei und zwei zusammenzählen – im sogenannten Vorkonklave, den tagelangen Beratungen unterschiedlichster Gruppierungen von Kardinälen, bei denen, so meinen zumindest alle, die es wissen sollten, Schönborn eine wichtige Rolle gespielt hat.
Sixtinische Kapelle hin, Heiliger Geist her, Prevost war spätestens beim Einzug der Kardinäle in das schönste Wahllokal der Welt ein unübersehbarer, wenn nicht gar der unübersehbare Favorit. Schönborn konnte das erwarten. Dass er mit Zulehner im Vorfeld der ORF-Berichterstattung darüber gesprochen hat, ist anzunehmen. Auch die Kirche weiß schon längst, wie man Medienauftritte vorbereitet. Karl Kraus hätte Zulehner am Tag danach wohl als „Sphinx ohne Rätsel“ apostrophiert.
„Ent-Täuschungen“
Der emeritierte steirische Diözesanbischof Egon Kapellari hat gerne davon gesprochen, dass es zuweilen auch die Aufgabe der Kirche sei, die Menschen zu „ent-täuschen“. Als besonders sprachsensibler Intellektueller verwies er damit auf die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes: die eigenen „Täuschungen“ in Frage stellen zu lassen. In diesem Sinn wird auch Papst Leo XIV. Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche enttäuschen. Sein Bekenntnis, den Weg seines Vorgängers Franziskus weiter zu gehen, wird bei manchen als Hoffnung, bei anderen als Drohung aufgenommen werden.
Solche Absichtserklärungen sind immer auch ein Stück weit Ritual, gerade innerhalb der Katholischen Kirche, für die das Bewahren der Tradition ein nicht verhandelbarer Bestandteil des Glaubenskernes ist. Dass die Geschichtsbücher hier anderes erzählen, sollten wir in diesem Zusammenhang unaufgeregt zur Kenntnis nehmen. Das gilt auch für den uneingeschränkten Jubel im Episkopat. Alles andere wäre schließlich zutiefst illoyal.
Dass Vertreter der kirchlichen Sozialindustrie wie die Caritas mehr Engagement gegen die Armut erwarten, die ökologisch Aktiven mehr Botschaften zur Schöpfungsverantwortung hören wollen, Gutmeinende offene Grenzen immer und überall fordern, Frauen nach Weiheämtern streben und last but not least die kirchliche Funktionärsclique unter dem noch längst nicht befriedigend definierten Schlagwort der Synodalität mehr Mitspracherechte haben will, hören wir ohnehin jeden Tag.
Viel leiser sind dagegen die Stimmen, die sich vom Papst wohl Dringlicheres erwarten, wie ein Bemühen, zumindest bei den Suchenden die Sehnsucht nach Gott wieder zu wecken oder nach dem tausendfachen Missbrauch an Frauen und Kindern allein in den letzten Jahrzehnten, der Kirche dafür eine nicht zu kurze Zeit der Buße aufzuerlegen. Auch wenn es viele gute Gründe gibt, das allgegenwärtigen Krisen-Gerede in Frage zu stellen, auf eine Herausforderung muss die Kirche – insbesondere in Europa – endlich reagieren: Die große Zahl ihrer Mitglieder glaubt nicht mehr an Gott, sagt uns eine Reihe von Umfragen. (In Österreich sind rund 50 Prozent Mitglied der Katholischen Kirche, aber nur 16 Prozent der Gesamtbevölkerung glauben an Jesus Christus als Sohn Gottes.)
„Er-Wartungen“
Was ist also vom Pontifikat Leo XIV. zu erwarten? Vorweg, das oben angedeutete „Wunschkonzert“ der unterschiedlichen Gruppierungen ist zum aktuellen Zeitpunkt kaum seriös einzuschätzen. Nicht zufällig steckt im Wort „erwarten“ das „Warten“. Wenden wir uns daher jenen Markierungen zu, an denen wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das Amtsverständnis des neuen Papstes ableiten können:
Erstens: Die Namenswahl jedes neu gewählten Papstes ist immer zugleich Programm. Wir wollen davon ausgehen, dass Kardinal Prevost an Leo XIII. und nicht an den ersten Papst Leo aus dem 5. Jahrhundert erinnern und wohl auch anschließen will. Während Leo I. vor allem als jener in die Kirchengeschichte eingegangen ist, der den Primatsanspruch des Bischofs von Rom durchzusetzen begonnen hat, wird Leo XIII., er regierte zwischen 1878 und 1903, vor allem als der Papst eingeschätzt, der für die Kirche zumindest die „soziale Frage“, ohnehin viel zu spät, aufgegriffen hat. In der Ablehnung der „Moderne“ hat er sich aber kaum von seinem reaktionären Vorgänger Pius X. unterschieden. Aber er hat sich dennoch eingehend mit den Fragen einer herausfordernden Zeit beschäftigt.
Zweitens: Wir können davon ausgehen, dass auch die erste Rede vor den am Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten ähnlich der Namenswahl programmatisch verstanden werden kann. Er strich hier vor allem die Notwendigkeit einer eindeutigen Sprache und die Suche nach der Wahrheit als Voraussetzung für jeden Frieden hervor. Die „religiöse Erfahrung“ – und damit eine missionarische Kirche – sei dafür notwendig.
Drittens: Leo XIV. war vor seiner Wahl Präfekt des „Dikasteriums für die Bischöfe“. Das entspricht auf der politischen Ebene in etwa einem Minister in der Regierung von Papst Franziskus. In dieser Funktion war er auch für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle zuständig. Beides macht Hoffnung. Leo wird im Gegensatz zu seinem Vorgänger mit der Kurie nicht mehr „fremdeln“, das Kardinalskollegium wohl auch nicht öffentlich maßregeln. Erzbischof Georg Gänswein, ein enger Vertrauter von Benedikt XVI., hat es erst vor kurzem sehr präzise auf den Punkt gebracht: „Man kann nicht allein regieren und den eigenen Institutionen misstrauen.“
Viertens: Als erster Papst aus den USA ist er mit religiöser und gesellschaftlicher Pluralität wohl mehr vertraut als seine beiden Vorgänger, deren kirchliche Sozialisation im katholischen Argentinien, im nicht weniger katholischen Bayern sowie – bei Benedikt – auf theologischen Fakultäten stattgefunden hat. Kardinal William Groh aus Singapur hat zudem darauf verwiesen, dass Leo XIV. angesichts seines Werdeganges für eine sehr klare Sprache steht. Gewissen Zweideutigkeiten, wie es sie bei Franziskus insbesondere bei moraltheologischen Fragen – wie etwa zur Homosexualität – gegeben hat, seien nicht zu erwarten. Als US-Amerikaner wird er auch wohl kaum wie sein Vorgänger die Marktwirtschaft als „eine Wirtschaft, die tötet“ denunzieren.
Fünftens: Papst Leo XIV. gehört dem Augustinerorden an. Augustinus (354 – 430), Bischof von Hippo und einer der bedeutendsten lateinischen Kirchenväter, aber auch spätantiken Philosophen. Er hat uns viele großartige Gedanken hinterlassen. „Tue, was du willst, solange du es aus Liebe tust“, das mag vielleicht etwas naiv klingen, aber das wäre die eigentliche „Freiheit eines Christenmenschen“, von der Leos wohl wirkmächtigster Ordensbruder Martin Luther im 16. Jahrhundert so gerne gesprochen hat.
Erschienen im Rahmen der Serie „ZEITDIAGNOSEN” von Hans Putzer.
In der Serie „Zeitdiagnosen“ schreibt Hans Putzer monatlich einen Beitrag über gesellschaftliche und politische Themen. Hans Putzer war von 1999 bis 2008 Chefredakteur von NEUES LAND, von 2010 bis 2018 Direktor des Bildungshauses Graz-Mariatrost und zuletzt Mitarbeiter im Grazer Rathaus. Er wohnt mit seiner Familie in Hausmannstätten und verfasst seit vielen Jahren Beiträge für den Steirischen Bauernkalender.