Im Jahre 1945 war Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwar ein befreites, aber noch durch die Siegermächte (Frankreich, Großbritannien, USA und Russland) besetztes Land. Christlichsoziale Politiker und Sozialdemokraten, die sich in der instabilen Ersten Republik mit 21 Regierungen noch vielfach feindlich gegenüber standen und 1934 in einen Bürgerkrieg verwickelt waren, verständigten sich darauf, aus diesen politischen Fehlern zu lernen.
![Leopold Figl war ÖVP-Obmann (1945-1952) und Bundeskanzler.[© Wikimedia Commons]](https://neuesland.at/wp-content/uploads/2025/04/2515-Figl_leopold_01-231x300.jpg)
Leopold Figl war ÖVP-Obmann (1945-1952) und Bundeskanzler.[© Wikimedia Commons]
In Österreich reifte bei erfahrenen, konservativen Persönlichkeiten die Idee, eine neue Volkspartei zu gründen und mit der unrühmlichen Geschichte der Christlichsozialen mit dem Katholischen Ständestaat (Austrofaschismus) zwischen 1934 und 1938 abzuschließen. Leopold Kunschak, Leopold Figl, Julius Raab, Freiheitskanzler von 1952 bis 1960 und Begründer der Wirtschaftskammer, sowie Alois Weinberger, Arbeitnehmervertreter und Obmann einer Fachgewerkschaft, gründeten im April des Jahres 1945 im Wiener Schottenstift, also vor 80 Jahren, die föderalistisch und bündisch gegliederte Österreichische Volkspartei (ÖVP). Sie wurde mit einer breiten Funktionärsschicht eine Volksbewegung und definiert sich bis heute als Partei der Mitte mit christlich-sozialen Grundsätzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in der Land- und Forstwirtschaft noch fast 1,5 Millionen Menschen beschäftigt, rund 2,5 Millionen in der Industrie und im Gewerbe, was erklärt, dass die ÖVP trotz Strukturwandels in der Wirtschaft und Gesellschaft bis 1970 unangefochtene Mehrheitspartei blieb.
Meisterin der Macht
Bei den ersten Wahlen am 25. November 1945 in der neu erstandenen Zweiten Republik erreichte Leopold Figl, der nach der Gründung der ÖVP Leopold Kunschak als Obmann ablöste, mit der neuen Volkspartei 85 von 165 Mandaten und damit die absolute Mehrheit. Auf die Sozialdemokraten entfielen 76 und auf die Kommunisten 4 Mandate. Leopold Figl wurde der erste Bundeskanzler (1945 bis 1952) und bildete mit der SPÖ und Adolf Schärf als Vizekanzler zusammen mit der kleinen KPÖ und zur Beruhigung der russischen Besatzungsmacht die erste Regierung 1945.
Die ÖVP war in den 80 Jahren der Zweiten Republik immer in der Regierung, außer zwischen 1970 und 1986 mit den SPÖ-Kanzlern Bruno Kreisky und Fred Sinowatz, der ab 1983 eine Koalition mit der FPÖ anführte. ÖVP und SPÖ bestimmten mit 90 Prozent Wählerzustimmung die Politik bis 1966.
Oft wird die Frage gestellt, warum es die Volkspartei immer schaffte, Regierungs- oder Kanzlerpartei zu bleiben. Manfred Prisching, Soziologe und Mitautor der kürzlich vorgestellten Festschrift „Wie die Volkspartei seit 80 Jahren Geschichte schreibt“, betont, die Bünde- und Kammerstrukturen der ÖVP und dem oft schwierigen innerparteilichen Interessensausgleich erleichtert die Kompromissfähigkeit mit anderen politischen Mitbewerbern. Dieses Grundprinzip, das auch Bundeskanzler Christian Stocker auf dem Parteitag in Wiener Neustadt ausführlich begründete, erklärt auch, warum Regierungen mit der ÖVP als Meisterin der Macht den jeweiligen Koalitionen auch Stabilität vermittelt. Der innere Bogen der regierungserfahrenen ÖVP, allerdings zur Mittelpartei geschrumpft, reicht von alten christlich-sozialen Vorstellungen über neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, konservativer Intelligenzia bis hin zu ländlichem Konservatismus.
Nicht zuletzt deshalb haben in der ÖVP auch Persönlichkeiten aus dem Bauernstand Karriere gemacht und die Entwicklung der Partei zwischen Erfolgen und Misserfolgen bei Wahlen mitgestaltet: Leopold Figl als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik und Staatsvertrags-Außenminister 1955; Karl Schleinzer, Landwirtschaftsminister von 1964 bis 1970 und Parteiobmann von 1971 bis 1975, der aber 1975 kurz vor den Wahlen tödlich verunglückte. Josef Riegler war mit seiner ökosozialen Marktwirtschaft ein Visionär und von 1989 bis 1991 ÖVP-Obmann.
![Von 1989 bis 1991 stand Vizekanzler Josef Riegler der ÖVP vor. [© Arthur]](https://neuesland.at/wp-content/uploads/2025/04/2515-Josef-Riegler-231x300.jpg)
Von 1989 bis 1991 stand Vizekanzler Josef Riegler der ÖVP vor. [© Arthur]
Wilhelm Molterer, Landwirtschaftsminister von 1994 bis 2002, löste Wolfgang Schüssel, der 2006 die Wahlen verlor und der SPÖ den Kanzlersessel (Alfred Gusenbauer) überlassen musste, als Parteiobmann ab und verließ 2008 als Finanzminister und Vizekanzler die Politik in Richtung Brüssel zur Europäischen Investitionsbank. Josef Pröll, Nachfolger von Wilhelm Molterer im Landwirtschaftsministerium, wurde 2008 ÖVP-Parteiobmann, Finanzminister und Vizekanzler. Er beendete 2011 überraschend seine politische Karriere und ist heute Raiffeisenmanager. Sein Sohn Alexander unterstützt den neuen Obmann der Volkspartei Christian Stocker als Staatssekretär im Kanzleramt. Sie tragen in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit und angesichts des Budgetdesasters die große Verantwortung, die Dreierkoalition zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS zusammen zu halten und müssen sich als Brückenbauer bewähren.
Dieser Beitrag wurde von Prof. Gerhard Poschacher für NEUES LAND verfasst.