Fünfzehn Tage in der Todeszelle

Vor 80 Jahren kamen die Macht der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg zu ihrem Ende. Viele Menschen kamen in den letzten Kriegstagen ums Leben. Einige hatten großes Glück – wie Florian Suppan.

von NEUES LAND

Wer in irgendeiner Form gegenüber den Nazis aktiv Widerstand geleistet hatte, musste in der Zeit von Ostern 1945 bis zum Kriegsende um sein Leben bangen, weil in diesen letzten Wochen der NS- Herrschaft besonders viele Todesurteile vollstreckt wurden. Einer, der zum Ende des Zweiten Weltkrieges um sein Leben bangen musste, war Florian Suppan. Er war im April 1945 ein 35-jähriger Schaffner, als er eher zufällig zum Fluchthelfer wurde. Bis zum Jahr 1936 war er noch Bahnarbeiter gewesen, danach wurde er arbeitslos und 1938, bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich, von der Reichsbahn angestellt. Bald danach heiratete er.

Seinen Dienst absolvierte er vorbildlich – bis zum Ostermontag am 2. April 1945. An jenem Tag hatte er eine Spätschicht und war als Zugbegleiter für fünf Waggons zuständig. Auf der Fahrt von Graz nach Bruck unterlief ihm – wie er selbst sagte – der größte Fehler seines Lebens. „Wir sind so um 20 Uhr auf Frohnleiten zugerollt. Beim Gang durch die Waggons ist mir aufgefallen, dass der Abort schon die längste Zeit verriegelt war. Aha, hab ich mir gedacht, wieder ein Schwarzfahrer. Ich klopfe gegen die Tür und schreie ‚Aufmachen‘. Ein paar Mal. Dann habe ich mit meinem Dreikanter die Tür von außen aufgesperrt. Drinnen steht ein Soldat, ein junger Bursch, der hat gezittert vor Angst. Er hat gesagt, er müsste an die Front einrücken, hat’s sich aber überlegt und will sich in Bruck absetzen. Ich soll ihn nicht verraten, hat er gebettelt. Mir hat er leidgetan, ich hab einfach die Tür wieder zugemacht und verriegelt. Dann drehe ich mich um und sehe einen Mann hinter mir stehen. Der hat mich angeschaut mit einem Blick, unvergesslich. Ich hab sofort gewusst, der hat alles mitgekriegt.“

Inzwischen rollte der Zug in den Bahnhof ein. Der Mann ging zur Plattform und stieg aus. Suppan sah, dass er geradewegs auf den Bahnhofvorstand zulief und aufgeregt redete. Der Vorstand lief zum Quartier der Bahnhofswache. „Mir haben auf einmal die Knie gezittert. Hab überlegt, ob ich auch aussteigen und einfach verschwinden soll. Aber was wird dann aus meiner Frau?“

Suppan wurde verhaftet und kam in Gestapohaft. Er wurde brutal verhört, geschlagen und nach einigen Tagen in das Landesgericht Graz überstellt. Dort wurde ihm gesagt, dass er im Verdacht stand, einer bestimmten kommunistischen Sabotage-Gruppe anzugehören. Beim letzten Verhör, als er wieder zu keinem „Geständnis“ bereit war, sagte ein Justizbeamter zu ihm: „Glauben Sie nicht, dass Sie billig davonkommen!“ Danach kam er in eine Einzelzelle. Als er wieder einmal eine dünne Krautsuppe serviert bekam, erfuhr er vom Wärter, dass er nur mehr seine Hinrichtung abzuwarten hatte. Und zwar durch das Fallbeil, das in einem benachbarten Zimmer aufgestellt war. Mehrmals hatte er es schon gehört, wenn es niedersauste. Suppan war verzweifelt.

Am fünfzehnten Tag kam er überraschend in eine Massenzelle mit etwa zehn Kriminellen. Ein Wärter, den er nach dem Grund fragte, meinte ironisch, vielleicht gäbe es „dringendere Fälle“ für die Guillotine. Ein paar Tage musste er dann, streng bewacht, mit anderen Häftlingen im Hof Schutt auf einen LKW schaufeln, um die Reste eines Bombentreffers [vom 21. März 1945] zu beseitigen. Das hatte den Vorteil, dass er anstatt der einen Schnitte Brot täglich drei Schnitten bekam.

In den letzten Apriltagen, es ging auf den Abend zu, kam es zu einem schweren Unfall. Ein Lastkraftwagen war bereits zur Abfahrt gerichtet, als der Fahrer bemerkte, dass die Verriegelung eines Seitenbrettes nicht richtig eingerastet war. Er wollte das beheben, als auf einmal das Brett mitsamt dem Bauschutt auf den Mann herunterfiel und ihn schwer verletzte. Sofort liefen die Wachposten herbei und trugen ihn ins Haus, nur ein Wächter blieb zurück. Suppan klaubte die Kappe des Fahrers vom Schutthaufen auf und trug sie den Männern nach. Die waren aber schon im Seitentrakt verschwunden, die Tür war versperrt.

Suppan stand allein im Hausflur und schien niemandem abzugehen. „Ich hab mir gedacht, so eine Chance habe ich nie mehr. Ich hab mir die Kappe mit der Aufschrift der Baufirma aufgesetzt, die hat perfekt gepasst. Dann bin ich auf die Straße gegangen, den Schönaugürtel hinunter bis zur Mur und in Richtung Norden. Ich wollte bis nach Andritz gehen, zur Schwester meiner Frau, und mich dort verstecken. Beim Umspannwerk vor der Keplerstraße, es war schon fast finster, hab ich noch einen argen Schrecken bekommen, da sind zwei Uniformierte mit umgehängten Karabinern gestanden, Volkssturmmänner für den Objektschutz.“

Suppan erzählt weiter: „Ich wollte zur Murböschung hinunterspringen, aber es war schon zu spät. Einer hat mich schon gesehen. Ich geh bei den beiden vorbei. Einer hat gesagt, ‚so spät noch unterwegs?‘ ‚Ich bin bald daheim‘, habe ich geantwortet. Mit seiner Taschenlampe hat er mir ins Gesicht geleuchtet. Dann hat er gelacht und gerufen: „A Rasteiger-Orbeita! Schau, dass‘d hamkummst.“ Seine Kappe hatte ihn sicher vor unangenehmen Fragen bewahrt. Was ist dann passiert? „Ich bin schnell weitergegangen, bis nach Andritz und hab mich in einer Zeughütte im Garten meiner Schwägerin verkrochen. In der Früh hab ich mich bei ihr gemeldet. Sie ist sofort zu meiner Frau in die Stadt gefahren und hat ihr alles erzählt. Ein paar Tage später war der Krieg aus und ich konnte endlich heimgehen.“

Autor: Herbert Blatnik

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