„Wir haben es in der Hand!“

von NEUES LAND

„Unsere Gesellschaft ist in akuter Schleudergefahr.“ Deshalb hat Landesrat Hans Seitinger als Verantwortlicher des „Lebensressorts“ innerhalb der Steiermärkischen Landesregierung in einer Serie von NEUES LAND auf brennende Themen reagiert. Zum Abschluss will er „positive Wege in eine zukunftsfähige Kultur“ aufzeigen.

Wir leben gegenwärtig in einer Phase der Veränderungen, die in einem Umfang und in einer Geschwindigkeit ablaufen, wie es sie seit Bestehen unserer Republik noch nicht gegeben hat. Man braucht nur in das Volk hineinzuhören, um das Rumoren zu vernehmen: Globalisierung, Digitalisierung, Flüchtlingsansturm, Wertewandel, zu viel an Bürokratie und vieles mehr.

Je schneller sich die Welt dreht – Beispiele mögen etwa die Revolution in den Biotechnologien, die bedrohte Natur auf unserem Planeten, der in einigen Ländern dieser Welt menschenverach-tende und maßlose Raubtierkapitalismus, etwaige Gefahren und Chancen der Migration oder der in vielen Bereichen krankmachende Leistungsdruck genannt sein –, desto größer ist die Sehnsucht nach Beständigkeit und klaren Antworten.

Zukunftsangst

Klar ist aber auch: Zukunftsangst ist ein schlechter Ratgeber. Nun wird sich mancher Leser vielleicht denken: „Das sagen immer diejenigen, die gerade agieren und Verantwortung tragen.“ Gerade aus diesem Grund sollten wir handelnde Politiker eine Bringschuld in Sachen „Orientierungshilfe“ einlösen:

Wie wollen wir morgen leben? Wie befeuere ich den wertvollen „Rohstoff“ Bildung? Wie sieht unser Lernprozess im gesellschaftspolitisch so wichtigen Zukunftsfeld der demografischen Entwicklung aus? Wie kann ich mich bestmöglich für die „res publica“ einsetzen und für andere gemeinnützig Gutes tun? Wie pflegen wir eine positive Beziehung zu unserer eigenen Identität mit dem Blick auf andere Kulturen? Wo wollen wir mit unserem Land wirtschaftlich hin? Wie gehen wir mit unseren Ressourcen, insbesondere in der Energiepolitik oder auch im Hinblick auf die riesigen Herausforderungen in Sachen Ernährung der Weltbevölkerung, um? Und schließlich: Was macht die europäische Idee künftig aus?

Das sind die wirklich großen Themen, die nach neuen Antworten verlangen – und dann ganz sicher auch Veränderungsbereitschaft in einem Gutteil der Bevölkerung wecken müssen, ganz im Sinne von Antoine de Saint-Excupery:

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten Meer.“

Werte

Deshalb meine ich, Schulterzucken reicht nicht, es muss gehandelt werden. Wir müssen es schaffen, in diesem Sinne die großen Zusammenhänge darzustellen, um eine Vision zu vermitteln. Das Erste und Wichtigste ist meines Erachtens, dass wir von dem Muster wegkommen müssen, wonach alles Heil in einem Mehr an Geld oder in einem unübersichtlichen Mehr an überspitzter Genauigkeit und Risikolosigkeit steckt. Die rein pragmatische Politik, das Machen, das Organisieren, reicht eben auf Dauer nicht aus. Da ist die eigentliche Frage nach einer kulturellen Erneuerung: Da heißt es nicht „Zurück ins Gestern“, sondern vielmehr darüber nachzudenken, was unter den Bedingungen der raschen Veränderung, der Internationalisierung zukunftsfähig ist: Zukunftsfähig in dem Sinn, dass es auch längerfristig trägt und nicht nur den kurzen Erfolg bringt.

Diskussion

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir ganz dringend eine kulturelle Diskussion über jene Werte brauchen, die uns zusammenhalten (werden). Gerade eine offene Gesellschaft braucht diese Werte; speziell eine zunehmend plural zusammengefügte Gesellschaft muss ein modernes Verständnis von gemeinsamer Identität voraussetzen, um menschenwürdig (über-)leben zu können.

In diesem Zusammenhang denke ich, dass jede zukunftsfähige Gesellschaft wieder von der Familie als Keimzelle her gedacht werden muss. In einer Welt globaler Dimensionen ist es wichtiger denn je, vor allem das „Wurzelwerk“ zu pflegen, zu wissen, woher wir kommen, dem Erbe der Väter und Mütter verpflichtet.

In Zeiten wie diesen ist ebenso die Fähigkeit und Bereitschaft gefragt, sich damit auseinanderzusetzen, wie unser heutiges Handeln und vor allem ein Nichthandeln sich auf die Zukunftsperspektiven der nachwachsenden Generation auswirken.

In der Tagespolitik ist es unverantwortlich, der älteren Generation zu vermitteln, dass im Sinne der Generationengerechtigkeit der jüngeren Generation durchaus noch Belastungen zugemutet werden können, die ihnen letztlich keine gute Zukunftsperspektive mehr gibt.

Mehr denn je ist deshalb der Mut zur Wahrheit gefragt, und zwar unabhängig von Wahlterminen und möglichen Widerständen.

Wie können wir nun die so notwendige Dynamik für Veränderungen, für eine positive Weiterentwicklung unseres Landes vorantreiben? Vielleicht ist es dieselbe Frage, der sich auch jedes moderne Unternehmen zu stellen hat: Mit welchen Strukturen und Zukunftsentwürfen, mit welcher Kraft des Denkens entwickeln wir uns weiter?

Wir brauchen alle Fähigkeiten und Möglichkeiten der Wissenschaft, um einige der großen Aufgaben unserer Zeit angemessen lösen zu können. Ein Beispiel dafür ist die nachhaltige Energiepolitik. Wir werden uns in einer zukunftsfähigen Kultur auch immer wieder fragen müssen, ob die Relationen in unseren öffentlichen Haushalten zwischen Investition, Forschung und aktuellem Konsum stimmen. Nur wenn wir genügend in Forschung und Entwicklung investieren, materiell und vom gesellschaftlichen Stellenwert her, werden wir international Schritt halten können. Wir müssen aber gegebenenfalls auch die Kraft haben, auf das eine oder andere zu verzichten, wenn wir unter dem Aspekt der Würde des Menschen und dem Schutz des Lebens dazu nicht Ja sagen können.

Nun ist es nicht nur mit guten Motiven allein getan. Es braucht immer auch Strukturen, in denen sich Dynamik und Stabilität entwickeln können. Aus meiner Sicht ist der Schlüssel dazu die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips: Vorrang der Eigenverantwortung und der freien Initiative des Einzelnen oder der Gesellschaft vor dem Staat, also Vorrang der überschaubaren Einheit vor der großen, dort, wo immer es sachgerecht ist und Sinn macht.

Das hat für mich viel mit dem Begriff „Gerechtigkeit“ zu tun: Die dringlichste Aufgabe im Sinne von Gerechtigkeit in unserer Zeit ist Chancengerechtigkeit – bei vergleichbarer Begabung und Anstrengungsbereitschaft, aber unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft.

Bürokratie-Abbau

Verlängern wir diese gedanklichen Leitplanken in die Zukunft, müssen wir uns verstärkt über das Verhältnis von Bürger und Staat Gedanken machen. Denn die informierte Gesellschaft rüttelt nicht nur an der repräsentativen Architektur unserer Demokratie, sondern gibt auch die Chance, den Staat neu zu denken, und zwar von den Bürgern und ihren Lebenslagen her.

Den Staat zu den Bürgern bringen und nicht die „Bürokratie online“, das muss die Maßgabe bei der Staatsmodernisierung sein. In einem Zeitalter, das von hoher Dynamik und großen Brüchen geprägt ist, kann für die Politik ohnehin kein einfaches „Weiter so“ gelten, ganz im Gegenteil. Viel Speck muss weg und der schon untragbare Filz an Regularien intensiv durchkämmt werden.

Orientierung

Heutzutage gehört zu den allerwichtigsten Führungsaufgaben die Bringschuld Führender, wo immer sie Verantwortung tragen, über die prägenden Entwicklungen Orientierung zu geben und nicht Verwirrung und Verunsicherung zu stiften.

Für mich ist klar: Viele der aufgezeigten Veränderungen können wir nicht stoppen, aber noch können wir sie in eine positive Richtung lenken. Österreich und die Steiermark haben in der Vergangenheit schon von vielen Strukturumwälzungen profitiert. Wir haben es selbst in der Hand, uns mit Mut und Zuversicht diesen neuen Herausforderungen zu stellen.

 

 

Foto: fotolia.com/Igor Mojzes

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