Den Angriff auf Europa nicht verschlafen

von NEUES LAND

Das transatlantische Handelsabkommen bewegt und beängstigt durch fehlende Transparenz. Abg.z.NR Fritz Grillitsch im Interview.

NEUES LAND: Warum erregt TTIP derart die Gemüter, obwohl kaum jemand weiß, wofür das Kürzel steht?

Abg.z.NR Fritz Grillitsch: TTIP steht für transatlantic trade and investment partnership oder transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Dieses Abkommen ist das Umfangreichste in der Geschichte der Europäischen Union, das jemals mit der USA verhandelt wurde. Die Einen sehen in TTIP die große Chance, durch Abbau von Handelshemmnissen den amerikanischen Markt zu erobern, die Anderen haben schlichtweg Angst, dass die europäischen Standards unterlaufen werden und sich der nicht gerade beliebte ,Amerkanismus‘, also dass die Macht nicht mehr von der Politik, sondern von den Konzernen ausgeht, durchsetzen wird. US-Wirtschaft und US-Banken bestimmen derzeit Tempo und Inhalte der Gespräche. Darüber können auch zwischenzeitige Alibi-Informationen nicht hinwegtäuschen. Die Frage ist: Verschlafen die EU-Verantwortlichen den Angriff auf Europa?

NL: Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand?

Grillitsch: Bisher hat es noch in keinem einzigen Punkt ein Verhandlungsergebnis gegeben.

NL: Worin sehen Sie die Gefahren von TTIP?

Grillitsch: Neben einer befürchteten Senkung von gesetzlichen Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards – Kündigungsschutz und Einfluss der Interessensvertretungen sollen abgebaut, Arbeitnehmerrechte drohen als Handelshemmnis eingestuft zu werden – steht vor allem die Einführung sogenannter Schiedsgerichte am Pranger der Kritiker. Sie sollen zum Investitionsschutz transnationaler Konzerne – ohne Mitwirkung nationaler unabhängiger Gerichte – über Schadensersatzansprüche gegen künftige Mitgliedsstaaten entscheiden können. Sie haben die gleichen Rechte wie Gerichte. Ihre Urteile sind für den Staat bindend. Angerufen werden können diese Schiedsgerichte nur von ausländischen Investoren – und nicht von Staaten. Das ist rechtsstaatlicher Irrsinn, eine Aushebelung des Rechtssystems, eine Verhöhnung der Demokratie und die Aufhebung internationalen Rechtes. Unter diesen Bedingungen kann es keine Zustimmung der EU geben.

NL: Wie stark ist der agrarische Bereich betroffen?

Grillitsch: Der Agrarsektor steht besonders im Fokus. Bei genauerem Hinsehen werden die Gefahren für die EU-Mitgliedsstaaten deutlich: Während in Europa gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, sind in den USA Mais, Soja und Zuckerrüben zu 90 Prozent gentechnisch verändert. Der Chemieriese Monsanto erwartet sich vom Ergebnis der TTIP-Verhandlungen ein ,Sesam, öffne dich!‘ des europäischen Marktes in Form von Deckelungen. Das heißt, dass die hohen Standards in Europa heruntergefahren und für genmanipulierte Pflanzen und Produkte geöffnet werden müssten. Natürlich steht der Agrarsektor im Zentrum amerikanischer Interessen. Regionale Spezialitäten mit Markenstatus aus einzelnen EU-Ländern werden als erstes auf dem Altar US-amerikanischer Nahrungsmittelkonzerne geopfert werden.

NL: Ist die Angst vor Chlorhendl und Klonfleisch berechtigt?

Grillitsch: Bisher hörte man kein Sterbenswörtchen über die Vorgangsweise bei Lebensmitteln mit geklonten Tieren oder über die Frage der Verwendung des umstrittenen Wachstumshormones Ractopamine, das jenseits des Atlantik in der Schweinemast eingesetzt wird. Außer Streit stehen die Interessen der US-Geflügelindustrie, den europäischen Markt zurückzugewinnen. Seit 1997 sind in der EU mit Chlor desinfizierte Fleischprodukte verboten. Geflügel darf hier nur mit Wasser behandelt werden. Für die amerikanische Geflügellobby geht es um die Aussetzung dieser Vorschriften – und um 600 Millionen Dollar pro Jahr. Der Weg darf nicht frei werden für Agrarkonzerne, die EU-Recht und nationales Recht aushebeln.

NL: Können die europäischen Lebensmittelstandards erhalten bleiben?

Grillitsch: Das Schutzniveau für Gesundheit, Sicherheit, Arbeits- Umwelt- und Konsumentenschutz muss auf europäischem Standard bleiben. Auch die hohen europäischen Standards bei der Lebensmittelsicherheit dürfen nicht umgangen werden. Der Schutz von Menschen, Tieren, Pflanzen und Gesundheit ist genauso unantastbar, wie die Europäischen Herkunftsangaben und die Europäischen Kennzeichnungsverpflichtungen. Wir wollen weiterhin Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der Produktion, denn die Konsumenten in Österreich wollen wissen, wer wo wie produziert und dass ohne Gentechnik und Hormoneinsatz produziert wird. Daher ist es auch die Pflicht der EU und von Österreich, massiv gegen diese amerikanische Raubbau-Politik aufzutreten, damit wir unsere hohen Standards in der Produktion aufrecht erhalten können und um so auch den Menschen Lebensmittelsicherheit in umfassendem Sinne zu bieten.

NL: Wie soll es mit TTIP weitergehen?

Grillitsch: Österreich und die EU dürfen dieses Abkommen mit den bekanntgewordenen Klauseln über den Investorenschutz und private Schiedsgerichte nicht abschließen. Diese Klauseln verstoßen gegen österreichisches Verfassungsrecht, einschlägige Bestimmungen im Rechtssystem der EU und bedeuten nichts anderes als einen Systembruch des Völkerrechtes. Schlichtungsstellen im Rahmen eines Freihandelsabkommens wie TTIP müssen einer staatlichen Kontrolle unterliegen.

NL: Wie schaut die agrarische Zukunft aus?

Grillitsch: Wir müssen verhindern, dass es zu einem Lohn- und Preisdumping durch amerikanische Konzernpolitik kommt und nur einige wenige Konzerne ihre Umsätze maximieren. Wir brauchen auch in Zukunft einen fairen Ausgleich in der Wertschöpfungskette vom Bauern bis zum Konsumenten. Die EU hat eine Schutzfunktion für ihre Nationalstaaten, für gesunde Lebensmittelproduktion und intakte Lebensräume. Im Wesentlichen werden diese Verhandlungen darüber entscheiden, wie die Zukunft Europas positiv weiterentwickelt werden kann.

 

Zur Person:

Fritz Grillitsch war von 1998 bis 2001 Vizepräsident der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft Steiermark und von 2001 bis 2011 Präsident des Österreichischen Bauernbundes. Aktuell ist Fritz Grillitsch der einzige steirische Bauernbund-Abgeordnete im Nationalrat. Er verfügt über ausgezeichnete Netzwerke weit über den agrarischen Bereich hinaus und hat sich als Kämpfer für einen intakten ländlichen Raum als Lebens- und Wirtschaftsraum einen Namen gemacht.

 

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